SLOW DOWN: ein Essay von Franzobel

Slow down Franzobel

Unser Hamsterrad namens Welt wird immer schneller und verrückter.

Alle rasen, konsumieren, leben. Gut, dass auch welche auf die Bremse treten, für Regionalität, Bedächtigkeit, Slow Food einstehen. Vielen ist Glück, Reichtum oder Konsum das höchste Ziel, für mich ist es Gelassenheit – kein Schlagwort, das sich für Politslogans oder Revolutionen eignet. 

Auch gibt es keinen Gott oder Heiligen der Gelassenheit, nicht einmal eine metaphorische Darstellung in der Kunst. 

Ist die Gelassenheit das Gegenteil von Hysterie? Kann man auch Gleichmut zu ihr sagen?

Franzobel

Und wo verläuft die Grenze zur Gleichgültigkeit, Agonie oder zum geistigen Halbschlaf? 

Doch was nützt die gelassenste Gelassenheit, wenn man in einem Flugzeug sitzt, dessen Turbinen gerade zu brennen angefangen haben, ein autokratischer Diktator einen großen Krieg anzettelt, oder man erfährt, dass ein Psychopath die eigenen Kinder in seiner Gewalt hat?  Dann wird es schwerfallen, ruhig zu bleiben. Aber sogar dann ist Gelassenheit von Nöten.  Der Mensch sieht sich mit einer Ungeheuerlichkeit konfrontiert, der eigenen Vergänglichkeit. Gut, wir können glauben, dass uns ein Paradies erwartet. Vielleicht ist der Geist des Einzelnen nur Teil eines großen kollektiven Bewusstseins, einer Weltseele, die das Universum bildet? Oder wir träumen unser Leben nur, um nach dem Tod in einem All-inclusive-Hotel mit Wellnessoase, Buffet und Hausbar aufzuwachen? Das Leben ist ja keineswegs nur eine Aneinanderreihung von Annehmlichkeiten, wird durch Enttäuschungen und Sorgen irritiert. Durch die Erkenntnisse der Quantenphysik ahnen wir, dass Zeit und Raum nicht unserem Hausverstand entsprechen. Manche Neurobiologen meinen, wir wären durch Gene vorherbestimmt. Für andere ist es Vorherbestimmung, Schicksal. Und dann noch der Konsumwahn, das ständige Gefühl, nicht genug zu bekommen, zu wenig zu leisten, nicht gut genug zu sein. 

Die einzig angemessene Möglichkeit, dem allen zu begegnen, ist mit stoischer Gelassenheit. Gelassenheit evoziert Vertrauen. Vertrauen in einen höheren Zusammenhang, einen verborgenen Sinn oder, dass einen zum Feierabend ein frisch gezapftes Bier erwartet. Ohne Vertrauen zerfressen uns die Ängste, derentwegen die Welt so ist, wie sie ist. Aus Angst töten und zerstören wir, errichten Grenzen, Gefängnisse, aus Angst vor der Armut horten Superreiche unvorstellbare Reichtümer. Mit etwas mehr Gelassenheit wäre die Geschichte um viele Gräueltaten ärmer.

Immer, wenn ich nicht gelassen war, in der Liebe, der Kunst, im Leben, habe ich mich verkrampft, was stets dazu geführt hat, dass auch ein Krampf herausgekommen ist. Habe ich mich aber ausgeliefert und vertraut, hat alles funktioniert – zumindest halbwegs.

Das Leben ist wie Surfen. Die Wellenreiter liegen den ganzen Tag im Meer und warten auf die richtige Woge, die sie reiten können.

Setzen sie auf die falsche, kommen sie nicht weit, und erwarten sie von einer guten Welle zu viel, sind sie verkrampft und fallen früh vom Brett. Nur wenn sie cool bleiben, gelingt ein kleiner geiler Wellenritt, der dann der Sinn von allem ist. Vielleicht ist es mit dem Leben nicht anders, liegen wir die meiste Zeit herum wie Krokodile, nur warten wir auf keine Beute, sondern auf die Welle. Und wenn sie kommt, hilft nur eines: Gelassenheit.

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Franzobel

Franzobel ist ein österreichischer Schriftsteller. Er veröffentlichte zahlreiche Theaterstücke, Prosa und Lyrik. Seine Theaterstücke wurden unter anderem in Mexiko, Argentinien, Chile, Dänemark, Frankreich, Polen, Rumänien, der Ukraine, Italien, Russland und den USA gezeigt. 

Sein großer historischer Abenteuerroman „Das Floß der Medusa“ (Zsolnay Verlag) wurde mit dem Bayerischen Buchpreis 2017 ausgezeichnet und stand auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2017.

Foto: Dirk Skiba, Ethan McBride/Unsplash