Der Mann der ersten Stunde

Slow Food Herwig Ertl

Er ist das Sprachrohr seiner Region und verwandelte Kötschach-Mauthen in einen Treffpunkt und Ort des guten Geschmacks: Slow-Food-Pionier Herwig Ertl über Sturheit, Reisfleisch und grenzüberschreitenden Aktivismus. 

Sie sind seit vielen Jahren ein aktiver Botschafter der Region und haben in dieser Zeit viel erreicht. Slow Food ist im wahrsten Sinne des Wortes in aller Munde. Eine blöde Frage aber gleich vorweg: Warum braucht es für etwas, das es eigentlich schon so lange gibt, auf einmal einen englischen Begriff? 

Slow Food gibt es, seit es Fast Food gibt. Als das erste Fast-Food-Lokal aufgesperrt hatte, und das war vor 30 Jahren, hat der Gründer der Slow-Food-Bewegung, Carlo Petrini, gesagt: Jeder hat das Recht auf ein gut, sauber und fair produziertes Lebensmittel. Warum Englisch? Slow Food ist eine geschützte Marke, eine Lebenseinstellung, jeder ist eingeladen, daran teilzunehmen, um Wertvolles zu bewahren, noch dazu ist Slow Food die größte Friedensdemonstration der Welt. Jeder, der diese Philosophie und Lebenseinstellung versteht und lebt, leistet einen wertvollen Beitrag zur Ernährungs- und Esskultur und zum Erhalt der Biodiversität bei. Die Antwort auf Fast Food kann ja nur Slow Food sein. Fast Food ist Bequemlichkeit vieler, Slow Food ist ein Beitrag von Menschen, die hinterfragen, umsetzen und einen wertvollen Beitrag für ein wertvolles Miteinander und für sich selber leisten möchten. Wir brauchen viele Aktivisten! Nicht Aktivisten, die die Verantwortung auf andere schieben, sondern die umsetzen.  

Wie dickköpfig muss man sein, um so wichtige Themen auch nachhaltig zu verankern und vor allem voranzutreiben? 

Ich lebe ja im köstlichsten Eck Kärntens: in Kötschach-Mauthen im Gailtal, der 1. Slow Food Travel Region der Welt. Wir sind reich an wertvollen „Dickköpfen“ und Vordenkern. Wir mussten uns immer sehr anstrengen, weil wir immer ein Vorbild für andere waren die unser Tun als wertvoll erachten und uns jetzt als Vorbild sehen. Das St. Daniel eines der ersten Slow Food Villages der Welt ist und Mauthen eines der 20 Bergsteigerdörfer Österreichs kommt nicht von irgendwo. Nur wo der Mensch noch etwas zu sagen hat, lebt eine Region. Mein Glück ist und war es immer, den Reichtum, den wir vor der Tür haben, zu sehen und zu erkennen. Ich will diesen in die Welt tragen, nach dem Motto: „Wenn wir nicht neidig sind, haben wir alle genug.“ Es ist alles nur geliehen, wir sind nur Gast auf Erden. Unsere Verpflichtung ist es, unseren Kindern eine gute Zukunft zu ermöglichen.  

Warum sind bewusster Konsum und Slow Food überhaupt so wichtig?   

Weil man sich nicht nur satt isst, sondern sich auch mit dem Anbau, der Herkunft und dem Produzenten beschäftigt. Man hinterfragt, man genießt, man lässt nicht Notwendiges weg. Man wird kreativ, man macht sich Gedanken. Man ist dankbar, dass man Verständnis für sauber und fair produzierte Lebensmittel aufbringt.  

Welches Produkt aus Ihrer Region, hat Sie erst unlängst so richtig begeistert? 

Die beiden Slow-Food-Presidi (Anm. d. Red.: Die Presidi unterstützen die Produktion von Qualitäts-Lebensmitteln, die zu verschwinden drohen), das Lesachtaler Brot und die Kletzenbirne als das erste grenzüberschreitende Slow-Food-Presidi der Welt. Unglaublich, was da für Energie dahinter steckt.  

Nur „Slow Food“ oder ein anderes Label wird eine Region höchstwahrscheinlich nicht vorantreiben. Was braucht es noch dazu, damit sich auch in die Breite hin das Bewusstsein verändert? 

In Kärnten gibt es den Verein Slow Food Kärnten. Dieser Verein bemüht sich um eine Verbesserung der Ernährungs- und Esskultur in Kärnten. Dieses Tun findet in Schulen statt, in den Regionen, den Gemeinden, bei allen Slow Food Genusshandwerkern. Das Besondere an diesem Verein ist, dass jeder seinen finanziellen Beitrag leistet. Die Politik, die Kärnten Werbung, die Regionen, die Gemeinden, die Genusshandwerker. Wir werden bewundert, dass das bei uns so gut klappt. Unser Ziel ist es jedoch, die Philosophie zu verbreiten, erlebbar zu machen, eine gute Basis zu haben und das Potenzial, das da ist, zu nutzen und sichtbar zu machen.  

Der Zeitfaktor ist das meistzitierte Argument, wenn es ums Nicht-Kochen geht. Wie meistern Sie Arbeit und Küche, oder haben Sie vielleicht sogar Tipps?  

Ich kann nicht kochen. Ich weiß jedoch, was gut zusammen passt und deshalb sind wir in der Küche mit guten Essenzen auch bestens versorgt. Ich bin dankbar, dass meine Frau Marianne Daberer vom der daberer.das biohotel täglich, trotz viel Arbeit, für unsere zwei Buben Felix und Lorenz und mich kocht. Und es schmeckt immer großartig.  

Viele verbinden mit Kindheitserinnerungen vor allem auch das, was auf dem täglichen Küchentisch gelandet ist. Was sind denn diesbezüglich Ihre frühesten Erinnerungen?  

Bei uns gab es freitags immer Polenta, am Samstag Reisfleisch. Diese beiden Gerichte zählen heute noch zu meinen Lieblingsgerichten. 

Für viele ist gut essen zu gehen mittlerweile Luxus geworden. Wie definieren denn Sie für sich selbst kulinarischen Luxus? 

Der einzig leistbare Luxus ist der, den der Nachbar für uns produziert und die Natur uns schenkt. Diesen müssen wir schätzen und achtsam damit umgehen. Dann können wir uns diesen jeden Tag leisten. 

Über Herwig Ertl 

Seine Genussfestspiele, seine Philosophie, seine unkonventionellen Denkansätze und Aufrufe zu mehr Regionalität und Sinn fürs Echte haben Herwig Ertl schon vor vielen Jahren zu einem Pionier und Botschafter jener Kriterien gemacht, die auch die Slow-Food-Bewegung auf ihre Fahnen geschrieben hat. Heute ist er kreativer Edelgreissler, Querdenker, Dickkopf und Hüter der edlen Produkte in Kötschach-Mauthen.

 herwig-ertl.at