FRANZOBEL: Wir verblöden

Franzobel

Die neue Welt ist humorlos. Überall werden Menschen eingespart. Selbstfahrende Busse, vollautomatisierte Supermarktkassen und bei Hotlines von Fluglinien einen echten Menschen zu erwischen, gleicht einem Lotteriegewinn. Und nun künstliche Intelligenz? Bald können Maschinen alles, auch täuschend echte Nachrichten generieren. Bedeutet dies das Ende aller Gewissheit? Das Ende aller Arbeit?

Skepsis gegenüber dem Fortschritt ist so alt wie die Menschheit selbst. Bestimmt gab es bereits bei der Erfindung des Rades Zweifler. Mit gutem Grund: Der Mensch ist selten gewillt, den Fortschritt zum Wohle aller zu nutzen. Effizienz geht immer auf Kosten der Menschlichkeit. Noch ist die KI nicht fähig, kreativ zu sein. Sie kann Wetterphänomene und Börsenkurse prognostizieren, Kunststile kopieren, aber etwas genuin Neues erschaffen, kann sie noch nicht. Sie kreiert keine neuen Erfahrungen, sondern rechnet Wahrscheinlichkeiten aus. Die KI versteht keinen Humor, aber sie ist viel intelligenter als wir.

Stellen wir uns einmal vor, sie wird von Großkonzernen eingesetzt. Bereits jetzt gibt es den sogenannten Enkel-Trick: Gauner geben sich am Telefon als in Not geratene Verwandte aus, die dringend Geld brauchen. Was, wenn so etwas mithilfe der KI geschieht? Es reicht, wenn sie etwas verscherbeln will. Anhand unserer Antworten errechnet sie, wonach wir uns sehnen. Wir wären ausgeliefert, könnten nicht unterscheiden, ob wir es mit einem Menschen oder mit einer Maschine zu tun haben.

Das Internet ist ein demokratisches Medium. Theoretisch sollte die freie Verfügbarkeit des Wissens die Menschen klüger machen. Das Gegenteil ist der Fall. Die durchschnittliche Intelligenz in den Industrieländern nimmt ab. Wieso? Weil es allen nur noch um Aufmerksamkeit und Klicks geht? Fake News, Klickfarmen, Influencer … Dazu die grundsätzliche Bereitschaft, sich mit Nonsens ablenken zu lassen. Wir verblöden!

Die KI wird das vorantreiben. Bald wird sie gute Unterhaltung produzieren. Aber Musik, bei der man eine Seele spürt? Kunst, die die großen Fragen stellt? Echte Gefühle? Warum nicht? Die Lernfähigkeit der KI ist so fantastisch, dass sie bald richtig gute Bücher schreiben und wunderbare Filme produzieren wird – ohne echte Schauspieler.

Aber die Algorithmen werden nicht das Spannendste, sondern das Massentauglichste kreieren. Eine von Menschen erdachte KI bildet die Welt ab, wie sie für Menschen ist: rational, kausal, zielstrebig, profitabel. Das Intuitive wird dabei nicht erfasst.

Irgendwann wendet sich der Teufelspakt gegen uns, haben wir dank der freiwilligen Abhängigkeit alles verlernt. Schon jetzt kann kaum noch jemand eine Landkarte lesen. Was bleibt vom Menschen, wenn er nur noch Konsument ist? Ein lebensunfähiger Kretin?

Die KI wirft die Frage auf, was menschlich ist. Alles, was wir wissen, ist menschengedacht, erlebt mit einem Körper, der verletzlich, vergesslich und triebgesteuert ist. Die KI ist körperlos. Wie wird sie Natur beschreiben? Sie, die sich nicht reproduzieren muss, weil sie unsterblich ist.

Wird ihr, sobald sie ein Bewusstsein hat, alles Biologische nutzlos erscheinen? Kann es sein, dass Maschinen bald die Welt regieren? Sie brauchen weder Luft noch Wasser und haben alle Zeit, das Universum zu erobern. Der Mensch war immer technikskeptisch, aber im Falle der KI hat er auch Grund dazu. Und jetzt dürfen Sie raten, ob dieser Text von einer KI oder von einem Menschen geschrieben worden ist.