Deborah Sengl: wir müssen die Mauern in unseren Herzen niederreißen.

ausstellung deborah sengl © Deborah Sengl

In ihrer neuen Arbeit „Escape!“ im Museumsquartier in Wien schafft die österreichische Künstlerin Deborah Sengl mit Mitteln der zeitgenössischen Kunst auf 300 m2 eine Erfahrungswelt, in der sich Besucher mit dem Thema „Flucht“ auf mehrdeutig-kritische Weise auseinandersetzen können.

Foto: Bernd Preiml


Interview: Nina Prehofer

Was erwartet die Menschen in Ihrem Escape Room?

Deborah Sengl: „Escape!“ ist eine künstlerische Erfahrungswelt, die sich mit dem sehr aktuellen Thema Flucht beschäftigt. Die Besucher erwartet eine Mischung aus klassischen Methoden von „Escape-Räumen“, Ausstellungselementen und multimedialen Erlebnissen. Mein Ziel ist, damit ein möglichst breites Publikum mit diesem sehr emotionalen Inhalt zu erreichen.

Mit welchen „emotionalen Ausnahmezuständen“ muss man als Besucher rechnen? Panik, Angst …?

Deborah Sengl: Ich stelle nicht den Anspruch, eine reale Fluchterfahrung nachzustellen. Die empathische Auseinandersetzung mit der Ausweglosigkeit und Verzweiflung von Geflüchteten und ihren Geschichten war und ist das Hauptmotiv meines Projektes. Um dieses Nachempfinden anzuregen, werden die Besucher mit unterschiedlichen Ängsten konfrontiert, beispielsweise jenen vor Gewalt, Dunkelheit oder Enge. Die Panik steht hier allerdings nicht im Vordergrund. Vielmehr möchte ich durch die Andeutung dieser Ausnahmesituationen an unsere angeborenen Emotionen anknüpfen.

In Ihrer Arbeit steht stets der Mensch im Vordergrund – was war bei Ihrer Arbeit an „Escape!“ anders?

Deborah Sengl: Meine Arbeit ist stets gesellschaftskritisch. Das Verhalten bzw. Fehlverhalten von uns Menschen ist seit jeher der Nährboden meiner Kunst.

„Escape!“ ist aber mit Sicherheit meine emotionalste Arbeit.

© Deborah Sengl

Ich habe sie 2015, als Reaktion auf die sogenannte Flüchtlingskrise, entwickelt. Die Schicksale unzähliger Menschen, die ihre Existenz verloren haben und ihre Heimat verlassen mussten, haben mich zutiefst erschüttert. Viele hierzulande haben ihr Mitgefühl gezeigt und geholfen. Einige andere haben sich gegenüber den Geschichten der Geflüchteten aber leider verschlossen und empathielos oder sogar ablehnend reagiert. Dieses Verhalten hat in mir eine massive Traurigkeit ausgelöst. Ein weiterer Unterschied ist, dass „Escape!“ die klassische Ausstellungssituation durchbricht und das Publikum in seiner immersiven Machart viel stärker einbindet.

Sie haben mit der Organisation „Fremde werden Freunde“ zusammengearbeitet. Was haben Sie während der Arbeit an diesem Projekt gelernt? Was davon hat Sie am meisten berührt?

Da mir die Ernsthaftigkeit meines Projektes sehr am Herzen liegt, war es mir von Anfang an ein besonders großes Anliegen, eine NGO einzubinden. „Fremde werden Freunde“ sind, wie auch das Konzept zu „Escape!“, als direkte Antwort auf die Flüchtlingskrise Ende 2015 entstanden. Der Schwerpunkt dieser Organisation liegt in der Inklusion und dem Aufbrechen von Vorurteilen zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kultur.

© Deborah Sengl

Wir beide verstehen unsere Arbeit nicht als parteipolitisches Statement, sondern als Appell an die Menschlichkeit.

Im Zuge unserer Zusammenarbeit habe ich einige Menschen mit Fluchterfahrung kennenlernen dürfen. Sie haben für das Projekt Gegenstände, Fotos und ihre ganz persönlichen Geschichten zur Verfügung gestellt. Dieses enorme Vertrauen und ihre durchwegs positive Resonanz auf die Form der Umsetzung dieser sensiblen Thematik haben mich unglaublich bewegt.

Warum sind die einen betroffen und empfinden Mitgefühl, während andere voller Angst (oder auch Hass) darauf reagieren, wenn es um die Themen Flucht und Migration geht?

Ich denke, dass das Unbekannte generell die stärkste Quelle der Angst ist.

Deborah Sengl: Leider werden Vorurteile oft unreflektiert von dem familiären oder sozialen Umfeld übernommen. Auch haben die virtuellen „Echokammern“ einen sehr großen Einfluss auf die Gesellschaft. Lagerdenken ist derzeit leider viel ausgeprägter als eine direkte und vor allem emotionale Auseinandersetzungmit unserem Gegenüber.

Sind Ihnen aufgrund dieser Arbeit auch negative Reaktionen entgegengebracht worden?

Deborah Sengl: Noch nicht. Ich bin aber darauf vorbereitet, dass dieses Projekt sicherlich polarisiert und einigen, aus unterschiedlichen Gründen, auch missfallen könnte.

Wir feiern dieses Jahr auf der einen Seite das 30-jährige Jubiläum des Falls der Berliner Mauer, auf der anderen Seite wurden und werden in der letzten Zeit immer mehr Grenzen neu errichtet. Was sagen Sie zu diesem Paradox?

Ich sehe hier nicht unbedingt einen Widerspruch, da es nicht nur die sichtbaren Mauern sind, die unsere Welt(en) entzweien. So erfreulich es beispielsweise in Deutschland sein mag, dass es 1989/90 zu einer sogenannten Wiedervereinigung kam, sehe ich auch dort eine nachhaltige und sehr bedrohliche Kluft in der Gesellschaft.

Solange wir nicht die Mauern in unseren Köpfen und vor allem Herzen niederreißen, sind wir von einem toleranten und friedlichen Miteinander weit entfernt.

Was wünschen Sie sich, bei den Menschen auszulösen, wenn sie aus dem Escape Room hinauskommen?

Deborah Sengl: Ich möchte die Menschen zum Nachdenken anregen, an ihre Gefühle appellieren. Die Diskussionskultur ist in einer Gesellschaft, die ihre Meinungen ausschließlich in „dafür“ oder „dagegen“ unterscheidet, ziemlich verlorengegangen. Idealerweise kann „Escape!“ in Hinblick auf ein offeneres und differenzierteres Denken und Fühlen einen kleinen Beitrag leisten.


“ESCAPE!”
BY
DEBORAH SENGL

Seit 15 October 2019
im MuseumsQuartier Wien,
Buchungen online.
mqw.at