Kostbare Geheimnisse

Nein, das ist nicht Stonehenge, sondern der Steinkreis von Callanish auf den Äußeren Hebriden. Foto: Shutterstock

Kostbare Geheimnisse, Text by Martin Novak


Die Entdeckung geheimer Orte braucht Geduld und Glück.

Will man in die Uffizien in Florenz, braucht man viel Zeit. Natürlich auch, um die Werke von Botticelli, Leonardo da Vinci oder Michelangelo zu bewundern. Aber noch mehr Stunden als in den Sälen des Museums verbringen Besucher meist beim Warten davor. Das kann viele Stunden dauern. Falls man nicht (Pro-Tipp) um ein paar Euro mehr ein Online-Ticket gekauft hat.

In anderen Museen, die man nicht so unbedingt gesehen haben muss, ist Warten die Ausnahme. Etwa in der durchaus berühmten Neuen Sakristei der Medici-Kapelle mit den Grabmälern zweier Medici-Fürsten, gestaltet von genau jenem Künstler, nämlich Michelangelo, der in den Uffizien so schwer zugänglich ist. Das Problem: Wer wenig Zeit zum Reisen hat, wird sich nicht nur in Florenz auf jene Attraktionen konzentrieren, die in den Reiseführern ganz oben stehen. Er wird nicht von den ausgetrampelten Pfaden abweichen, die er sich mit vielen anderen teilen muss. Und er reist vor allem zu den Zeiten, in denen es auch die anderen tun. Um dann gemeinsam mit denen zu warten …

Wer wenig Zeit zum Reisen hat, wird sich auf jene Attraktionen konzentrieren, die in den Reiseführern ganz oben stehen.

Der simpelste Rat für Reisende

Der simpelste Rat für Reisende ist es also, nicht zu den Zeiten zu reisen, in denen es alle tun, in der ebenso populären wie gefürchteten «Hochsaison». Nur ist das leichter gesagt als getan. Denn nicht jeder hat das Privileg, seine Reisezeit frei wählen zu können. Schul- und Betriebsferien geben die Termine vor, in denen die Urlaubskarawanen losziehen. Wer solche Beschränkungen nicht zu berücksichtigen hat und es dennoch tut, ist selber schuld. Da hilft es auch wenig zu wissen, wie unvernünftig es ist, im August durch Venedig zu ziehen oder in den österreichischen Semesterferien in einem Tiroler oder Salzburger Skiort auf Einsamkeit zu hoffen. Und manches lässt sich auch nur zu bestimmten Zeiten erleben. Einen «Christkindlmarkt» gibt es halt nur vor Weihnachten und nicht im Jänner. Und wer allzu antizyklisch verreist, wird feststellen, dass auch vielbereiste Regionen Ruhezeiten haben, an denen Touristen nicht übermäßig willkommen sind. Aber es gibt auch positive Überraschungen. In Zeiten, in denen auf ein Hotelbett nicht zwei Gäste kommen, die sich darum streiten, und in den Restaurants Plätze leer bleiben, werden die, die da sind, weit mehr geschätzt. Da verwandelt sich eine Schnellabspeisung in ein nettes Restaurant mit typischem Essen der Region und Personal, das zu Stoßzeiten kaum zum Durchatmen kommt, kann statt professioneller Freundlichkeit wieder echte Herzlichkeit zeigen.

Kennen Sie Callanish?

Callanish ist so etwas wie Stonehenge, der mächtige Steinkreis der Megalithkultur im Südwesten Englands. Es ist nur etwas kleiner und zugegebenermaßen weit schwerer erreichbar, auf den entlegenen Äußeren Hebriden. Aber von Schottlands größter Stadt, Glasgow, dauert der Flug nach Stornoway, zur Hauptstadt der Hebriden-Insel Lewis/Harris, auch nur eine Stunde. Und von dort nach Callanish sind es dann keine 30 Kilometer mehr. Und ganz sicher ist der touristische Ansturm auf die Felsen von Callanish weit geringer als auf Stonehenge.

Geheimnisse bleiben geheim

«Mein Geheimtipp: Das Europareservat ist für Naturliebhaber und Ruhesuchende ein absolutes Paradies. Über 300 Vogelarten tummeln sich zu den ‹HochZeiten› – besonders im Herbst wirft die Natur ein prächtiges Farbenkleid über da Naturschutzgebiet.» Theresa Humer vom Spa Resort Therme Geinberg5 antwortet bereitwillig, wenn man sie fragt, welche geheimen Kostbarkeiten die Region im oberösterreichischen Innviertel ihren Gästen zu bieten hat. Nur: Geheimnisse, die auf einer Website leicht zu finden sind, entsprechen nicht ganz unserer Vorstellung eines Geheimnisses. Wir hätten es gerne wirklich geheim.

Ein offenbartes Geheimnis verliert leicht seine Unschuld.

In einer anderen Region Österreichs, die ebenfalls für ihre reiche Fauna bekannt ist, dem Neusiedlersee, bewaffnen sich Gäste mit schweren Teleskopen, um – begleitet von ortskundigen Guides – Wildgänse und Reiher zu Gesicht zu bekommen Dieselben spazieren aber auch über die Liegewiesen mancher Hotels (Namen werden nicht verraten; es ist ja ein Geheimnis) und lassen sich dort mit freiem Auge
aus nächster Nähe beobachten. Das ist dann nur weniger Abenteuer als die geführte Wanderung.

Graugänse kann man am Neusiedlersee mit dem Teleskop beobachten – aber auch auf der Liegewiese mancher Hotels.

Geduld & Glück

Einheimische sind ja nicht blöd: Sie offenbaren lieber offene Geheimnisse, behalten immer etwas für sich. Diese Kostbarkeiten lassen sich auch durch die penibelste Internet-Recherche und die Lektüre aller Reiseführer dieser Welt nicht finden. Dafür braucht es zweierlei: Glück und Geduld. Das Glück, über sie zu stolpern, und die Geduld, auf dieses Glück warten zu können. Aber es ist wie im Kasino: Die richtige Zahl kann sofort kommen – oder gar nicht.

Wenn sich die Magie eines Ortes auch bewirtschaften lässt, sinkt die Gefahr, dass er zerstört wird.

Meerechse trifft auf Touristin. Die beiden leben in einer sensiblen
Symbiose. Für beide ist sie erhaltenswert.
Foto: Shutterstock

Was ja irgendwie auch gut ist: Ein offenbartes Geheimnis verliert auch leicht seine Unschuld. Jahrzehntelang war der Grüne See in der Steiermark, ein aus Schmelzwasser gespeistes Naturjuwel, nicht allzu vielen Menschen bekannt. Bis es Hollywood-Star Ashton Kutcher entdeckte und ein Bild des Sees mit dem Text «Magic Moment» auf seiner Facebook-Seite mit 17 Millionen Fans postete. Genau diese Offenbarung brachte aber die Magie in Gefahr. Seither haben die Verantwortlichen alle Hände voll zu tun, damit Massen von neugierigen Besuchern die Magie dieses Ortes nicht überfordern. Verbote und diverse Einschränkungen sollen dafür sorgen, dass der «Grüne See» ein grüner See bleibt und nicht zur unansehnlichen braunen Lacke wird, wo niemand mehr magische Momente erleben kann.

Versteckspiel

Der beste Schutz sind aber eben keine Verbotstafeln, Zugangsbeschränkungen oder Schranken. Der beste Schutz für ein Geheimnis ist, dass es eines bleibt. Der österreichische Naturfotograf Matthias Schickhofer hat 2015 einen spektakulären Bildband über die Urwälder Europas veröffentlicht. Aber die Gefahr, dass sich Millionen in den Bayrischen Wald, in den Spessart, die Ukraine oder die Gebirge Bosniens aufmachen und diese Urwälder überrennen, ist glücklicherweise gering. Sie sind zu entlegen, zu beschwerlich ist es, sie zu erreichen.

Kostbare Geheimnisse
Urwälder schützen sich oft selbst – indem sie schwer zugänglich sind.
Manche werden auch von Forstbehörden geschützt, die ihren Standort verschleiern.
Foto: Shutterstock

Aber manche dieser kostbaren Orte liegen auch ganz nahe an Metropolen. Dort behilft man sich mit Versteckspielen. So ist ein Urwaldstück nahe Wien nicht gekennzeichnet, damit es nicht zu leicht zu finden ist: «Das Forstamt will verhindern, dass der Wald von Sonntags-Spaziergängern zertrampelt wird», heißt es dazu in einem Medienbericht. Wobei Tourismus auch schützt. Wenn sich die Magie eines Ortes auch bewirtschaften lässt, sinkt die Gefahr, dass er zerstört wird: «Statt die Urwälder umzuschneiden, könnte der Tourismus dort viel besser entwickelt werden», begründet etwa Umweltaktivist Schickhofer sein Engagement. Es geht eben immer um das richtige Maß. Interessiert sich niemand für die Brutplätze der Graugänse im Schilfgürtel des Neusiedlersees, wird man ihn roden bzw. für die Beweidung nutzen. Interessieren sich zu viele dafür, verliert er seine Schutzfunktion.

Weit über 200.000 Menschen besuchen jährlich die Galapagos Inseln. Und machen den Tieren das Leben schwer. Ganz unschuldig, weil die Schiffe, auf denen sie kommen, Parasiten einschleppen und sie die ökologische Balance ins Wanken bringen.

Einheimische sind ja nicht blöd: Sie offenbaren lieber offene Geheimnisse, behalten immer etwas für sich.

Ganz ohne Tourismus geht es auch nicht

Nur: Ganz ohne Tourismus geht es auch nicht. Wenn die Sardinen fehlen, weil sie systematisch gefischt werden, geht den Blaufußtölpeln, wegen denen die Besucher kommen, die Nahrung verloren. Und wenn es keine Blaufußtölpel, Galapagos-Pinguine, Elefantenschildkröten, Seelöwen und Meerechsen mehr gibt, bleiben die Besucher weg. Für die Menschen auf den Inseln würde das bedeuten, dass sie sich als Fischer wieder mehr den Sardinen widmen und als Konkurrenten der Tölpel vermutlich am längeren Ast sitzen. Und ihn letztendlich doch absägen …