Ein bahnbrechender Holzbau

Das Tamedia-Gebäude in Zürich zählt auch zehn Jahre nach seiner Errichtung zu den visionärsten Ingenieur-Holzbauten der Welt. Welcher Ansatz hinter der herausragenden Konstruktion steht, hat Pritzker-Preisträger Shigeru Ban dem ubm magazin. verraten.

Mitten im Zentrum, ganz in der Nähe des Zürcher Hauptbahnhofs, steht seit 2013 ein siebengeschossiger Holzbau, der in seiner Konstruktion einzigartig ist. Zur Zeit seiner Errichtung war der moderne Holzbau noch nicht wirklich in den Städten angekommen und kaum einer verstand den innovativen Charakter dieses Gebäudes. Es handelt sich um den neuen Hauptsitz der TX Group AG (ehemals Tamedia AG), einer privaten Mediengruppe in der Schweiz. Während in mehrgeschossigen Holzbauten heute in den überwiegenden Fällen Metallverbindungen zum Einsatz kommen, kreierte der japanische Architekt Shigeru Ban mit der praktischen Unterstützung von Holzbauguru Hermann Blumer ein eigenes Bausystem, das auf reinen Holzverbindungen basiert.

Holzverbindung, Tamedia, Shigeru Ban, Hermann Blumer
Die Holzverbindungen im Tamedia-Gebäude sind eine Eigenkreation von Shigeru Ban und Hermann Blumer.

Kein Element zu viel

Auch wenn das Bild mittlerweile schon oft beschworen wurde, so glich der Rohbau in diesem Fall tatsächlich einer Struktur aus dem Matador-Holzbaukasten. Bei dem Spielzeug-Klassiker, der 1901 erfunden wurde, werden die Bauteile mithilfe von Holzstäben zu einer stabilen Konstruktion verbunden. Auf dieselbe Weise, nur in einem anderen Maßstab und in einem andern Design, wurde das Tamedia-Gebäude errichtet. 

Auf den Baustellenfotos wirkt die Skelettstruktur mit ihren runden, leicht verspielt wirkenden Verbindungsstücken mehr wie eine künstlerische Skulptur denn das funktionale Tragwerk eines Bürohauses. Und dennoch ist kein Element in dieser Struktur zu viel, nichts ist bloßes Zierwerk oder Show. Alles hat seinen Platz und seine zugewiesene Funktion.

Außenansicht, Tamedia, Zürich, Shigeru Ban
Das siebenstöckige Bürogebäude in Zürich basiert auf einem Tragwerk, das nur aus Holz besteht.

Holz auf Holz

In der Holzkonstruktion trifft Schweizer Holzbau-Kompetenz auf die ausgefeilten Holzverbindungen des japanischen Kunsthandwerks Miyadaiku. Diese Unterkategorie des Zimmerhandwerks, die vor über tausend Jahren entstanden ist, widmet sich traditionell dem Bau von Schreinen und Tempeln. Ein wichtiger Aspekt dieser Holzarchitektur ist ihre Monomaterialität. Das heißt, beim Bauen kommen weder Nägel, Schrauben noch Leim zum Einsatz. Vom Tragwerk bis hin zu den Böden, Wänden und Verbindungen: Alles ist aus Holz.

Sobald man anfängt Stahl einzusetzen, nutzt man die Vorteile des Holzes nicht voll aus.

Shigeru Ban, Architekt und Pritzker-Preisträger

Ein Anspruch, den auch Architekt Shigeru Ban bei der Tragstruktur des Tamedia Gebäudes umsetzen wollte. „Eines der wichtigsten Prinzipien in meinem Konzept ist die Unabhängigkeit von Stahl, der üblicherweise für Verbindungen in Holzbauten eingesetzt wird“, wie er in einem Interview mit dem ubm magazin. in Paris erklärte. „Sobald man anfängt Stahl einzusetzen, nutzt man die Vorteile des Holzes nicht voll aus.“

Foyer, Tamedia, Zürich, Holzbau, Shigeru Ban
Im Foyer des Tamedia-Gebäudes zeigt sich die Holzkonstruktion über mehrere Stockwerke.
Detail, Tamedia, Zürich, Holzbau, Shigeru Ban
Die runden Holzverbindungen, wo Träger und Stützen aufeinander treffen, sind überall im Haus sichtbar.

Eine drehfeste Verbindung

Das Problem liege im Design und in der Konzeption von Holzbauprojekten, die sich meist noch an der herkömmlichen, mineralischen Bauweise orientieren würden, so Ban. „Der Ausgangspunkt vieler Holzgebäude ist eine Stahlstruktur, deren lineare Elemente durch Holz ersetzt wurden. Meine Holzstrukturen dagegen können nur in Holz gebaut werden. Das Tamedia-Gebäude würde in Beton oder Stahl nicht funktionieren.“

Meine Holzstrukturen können nur in Holz gebaut werden. Das Tamedia-Gebäude würde in Beton oder Stahl nicht funktionieren.

Shigeru Ban, Architekt und Pritzker-Preisträger

Mit seinen ovalförmigen Trägern, die in den Verbindungsstücken der massiven BSH-Stützen verankert sind, hat der preisgekrönte Architekt ein eigenes Bausystem kreiert und ein neues Kapitel im mehrgeschossigen Holzbau aufgeschlagen. Teile dieser Träger bestehen aus Furnierschichtholz, das zu den stabilsten aller Holzwerkstoffe zählt. Durch ihre ovale Form wird eine drehfeste Verbindung erreicht, ohne dass Metallverbinder oder Schrauben zum Einsatz kommen.

Terrasse, Rolläden, Tamedia, Shigeru Ban
Öffenbare Glasrolläden, die Ban mit Vorliebe einsetzt, schaffen spontane Terrassenflächen.
Aussenansicht, Rolläden, Tamedia, Shigeru Ban
Öffnungen in der Fassade lassen auch von außen die Holzstruktur erkennen.

Neuer Brandschutz für Holzbauten

Damit das Tamedia-Gebäude mit seinen sieben Geschossen und dem Mansardendach überhaupt gebaut werden konnte, mussten allerdings Bauvorschriften umgangen werden. In der Schweiz waren zu dieser Zeit aus brandschutztechnischen Gründen nämlich nur Holzbauten bis zu einer Höhe von sechs Geschossen erlaubt. Dem Holzbauingenieur Hermann Blumer, mit dem Shigeru Ban bereits beim Centre Pompidou Metz zusammengearbeitet hatte, gelang es allerdings, mit zusätzlichen Feuerschutzmaßnahmen eine Baugenehmigung für das Pionierprojekt zu erhalten.

Zwei Jahre nach der Fertigstellung des Bürogebäudes änderte man die Brandschutzbestimmngen in der Schweiz. Seither können dort Gebäude jeder Klasse, auch über der Hochhausgrenze, gebaut werden. So etwa das Holz-Hybrid-Hochhaus Rocket, das zur Zeit in der Winterthurer Lokstadt entsteht und eine Höhe von 100 Metern anpeilt.

Montage, Tamedia, Shigeru Ban
Mit der Konstruktion des Tamedia-Gebäudes hat Shigeru Ban ein eigenes Bausystem kreiert.
Montagekran, Tamedia, Shigeru Ban
Die einzelnen Elemente werden ähnlich wie bei einem Holzbaukasten für Kinder zusammengebaut.

Eine neue Form der Architektur

Mit seiner innovativen Bauweise ist das Tamedia-Gebäude ein Paradebeispiel dafür, wie der konstruktive Holzbau neben seinen klimaneutralen Eigenschaften auch das Baudesign und die Tektonik revolutionieren kann. Er macht den Weg frei für eine neue Form der Architektur, die die Baugesetzte von Beton und Stahl hinter sich lässt.

Einen Nachteil haben die reinen Holzverbindungen allerdings, wie Ban erklärt: „Ich setzte stets auf Holzverbindungen, außer das Gebäude soll irgendwann wieder abgebaut werden. In diesem Fall ist es besser Stahlverbindungen zu nutzen, da jene aus Holz nicht wiederwendbar sind.“ Ein Phänomen, das alle kennen, die je versucht haben, eine Matador-Konstruktion nach längerer Zeit wieder zu zerlegen. Einmal zusammengebaut, hält sie ewig.

Text: Gertraud Gerst
Foto: Didier Boy de la Tour, Shigeru Ban Architects