UNITED WE SCENT // Eine Duftkolumne von Helder Suffenplan

Duft

Vereint durch den Duft!

CConnecting minds, creating future – Menschheit, Menschheitsfamilie, Weltgemeinschaft – in Zeiten von Pandemie und Klimakrise beschreiben diese Worte keine schwärmerischen Utopien, sondern unsere Realität im 21. Jahrhundert. Denn tatsächlich kann keine der anstehenden existenziellen Menschheitsaufgaben von einer Nation oder einem Kulturkreis allein gemeistert werden.

Paradoxerweise scheint jedoch derzeit das Trennende zu wachsen: Wertegemeinschaften wie „der Westen“ erodieren und Gesellschaften zerbröseln in unzählige, sich oft feindselig gegenüberstehende Lebenswirklichkeiten. Die Spezies Mensch tut sich schwer, die Kämpfe zwischen Nationen, Religionen und Kulturen einzustellen, um zusammen das gemeinsame Haus zu löschen. Dabei hängt das Weiterbestehen der Menschheit davon ab, ob der Bewusstseinssprung in eine globale Identität stattfindet.

Wie kann das Gemeinsame besser erlebbar gemacht werden? Können die Dinge unseres täglichen Lebens, kann etwas scheinbar Oberflächliches und Banales wie Parfum einen Beitrag dazu leisten?

Wie so oft wächst in der Not auch das Rettende oder zumindest die Hoffnung darauf. Denn neben der Globalisierung der Probleme erleben wir ja auch eine nie dagewesene Vernetzung, ein Zusammenrücken zum globalen Dorf. Interessanterweise gab es bereits vor Internet, Satelliten und Containerschifffahrt Bereiche, in denen der Planet Erde globalisiert war. Die Welt der Ideen beispielsweise – also Philosophie, Religion und Wissenschaft – erstreckte sich stets über Zeiten und Reiche hinweg. Was eine Kultur zum ersten Mal dachte, wurde oft auch von ihren Feinden übernommen, zum Beispiel in der Mathematik, die das Abendland in maßgeblichen Teilen der arabischen Kultur verdankt.

Auch die Kunst hat sich um Grenzen selten geschert. In Europa verneigte sich der Japonismus vor der Ästhetik des fernen Kaiserreichs, umgekehrt nahm das zuvor isolierte Land der aufgehenden Sonne Ende des 19. Jh. begierig Anregungen westlicher Künste auf. Ähnliches gilt für die Faszination des Orients: Im 18. Jhdt. verfiel nicht nur das kurz zuvor noch von den Osmanen belagerte Wien der sogenannten Türkenmode, auch Mme Pompadour in Versailles gefiel sich alla turca in Turban und Kaftan. Im 20. Jhdt. dann ließen sich Kubisten und Expressionisten von Ausdrucksstärke und Aura afrikanischer und ozeanischer Skulpturen inspirieren.

Annick Goutal war fasziniert von der engen Verbindung zwischen Duft und Erinnerung. Um die Emotionen des Lebens in Düfte zu übersetzen, sammelte Annick Goutal leidenschaftlich alle Düfte, die ihr Leben erfüllten. Foto: Goutal

Global von Anfang an war auch die Welt der Luxusgüter.

Funde belegen, dass schon zur Stein- und Bronzezeit Menschen über große Entfernungen hinweg Handel trieben, um die Lust auf schöne Dinge aus Bernstein, Schildpatt oder Perlmutt zu stillen. Oder auch um ihren erlesenen Appetit zu befriedigen. Der Gewürzhandel war ebenso wie der Seidenhandel verantwortlich für Kontinente umspannende Handelsrouten und zahllose Begegnungen zwischen Individuen unterschiedlichster Herkunft. Gewürze waren so wertvoll, dass neue, kürzere Handelswege gesucht und gefunden wurden, die wiederum die verschiedenen Erdteile näher zu einander rückten.

Und im Gepäck der Händler reiste auch das Luxusgut Duft. Indien lieferte kostbares Oudh nach Japan und Arabien. Nelken, Safran, Pfeffer und Piment verschafften wohlhabenden Europäern nicht nur neue Geschmacks-, sondern auch Dufterlebnisse. Die klassische Parfumerie, die sich im 19. Jhdt. entwickelte, kam von Anfang an nicht ohne Zutaten aus sprichwörtlich aller Herren Länder aus: Sandelholz aus Indien, Zibet aus Äthiopien, Rosen aus Bulgarien, Moschus aus Zentralasien.

Dass der Waren- und Kulturaustausch oft nicht auf Augenhöhe stattfand und in vielen Fällen mit Ausbeutung, Gewalt, Plünderung und menschlichem Leid einherging, wird uns durch die Diskussionen rund um Cultural Appropriation immer deutlicher bewusst. Hier ist noch viel Aufarbeitung, Anerkennung und Wiedergutmachung zu leisten.

Gleichzeitig ermöglichte das „Anprobieren“ nicht nur fremder Kleidungformen, sondern auch von Klängen, Aromen oder Düften eine Horizonterweiterung: Der zunächst vielleicht gewöhnungsbedürftige Geschmack eines Gewürzes, der andere Künstlerblick auf Mensch und Natur, der Zauber eines unbekannten schimmernden Materials ließen erahnen, dass außerhalb der eng gesteckten Grenzen und Vorstellungen des eigenen Umfelds auch ein ganz anderes Leben, Denken und Fühlen möglich war. Idealerweise entstand so eine Wertschätzung des Andersartigen als etwas Kostbares und Bereicherndes.

Ein wunderbares Beispiel, wie Duft auf einer tiefen Ebene Verbindung zwischen Menschen, unterschiedlicher, vermeintlich unvereinbarer Kulturen schaffen kann, ist der Weihrauch.

Er fand seinen Weg aus Äthiopien oder Eritrea nicht nur nach Europa, sondern wurde für Ägypter, Römer, Hinduisten, Buddhisten, Christen und auch Muslime gleichermaßen zum Symbol des Erhabenen und Göttlichen und sein leicht berauschender Duft schuf als Teil religiöser Rituale den olfaktorischen Rahmen für spirituelle Erlebnisse. Was für eine überwältigende Vorstellung, dass zur selben Zeit in einem hinduistischen Tempel am Ganges, einer gotischen Kirche der Île de France, einem Shinto-Schrein in Osaka und einer Moschee im Oman Menschen meditieren, beten, feiern während aus kostbaren Gefäßen der Duft des Weihrauchs emporsteigt und eine Verbindung schafft zu einer gemeinsamen allumfassenden Wirklichkeit, jenseits geografischer, politischer oder religiöser Unterscheidungen.

Encens Flamboyant from Goutal

Wer diesen Weltgeist auf seiner eigenen Haut erleben möchte, dem empfehle ich das meditative Encens Flamboyant von Goutal, das uns mit Weihrauch, Balsamtanne, Salbei und roten Beeren in einen endlosen stillen Nadelwald transportiert.

Cardinal from James Heeley

Das elegante Cardinal von James Heeley wiederum, verwebt Weihrauch mit Zistus, Mhyrre und dem Duft weißen Leinens und erzeugt so eine Anmutung von Leichtigkeit und Reinheit.

05 Incense Extrême by Swiss perfumer Andy Tauer

Wer es etwas minimalistischer und im besten Sinne sperriger mag, dem weht der Duft 05 Incense Extrême des Schweizer Parfumeurs Andy Tauer den rauen Wüstenwind ins Haus.

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Photos: Klas Foerster, Atelier PMP, Goutal


Helder Suffenplan

HELDER SUFFENPLAN

ist ein unabhängiger Journalist und kreativer Berater aus Berlin und hat seit seiner Kindheit eine besondere Leidenschaft für Parfums. Mit der erfolgreichen Gründung von SCENTURY.com im Jahr 2013 – dem allerersten Online-Magazin für Parfümgeschichten – ist Helder zu einer anerkannten Autorität in der globalen Welt der Düfte geworden. Er war Jurymitglied bei Veranstaltungen wie den The Arts & Olfaction Awards in Los Angeles und dem Prix International du Parfumeur Créateur in Paris. Als Autor verbindet er sein Lieblingsthema Düfte mit einer Reihe von Bereichen wie zeitgenössische Kunst, Popkultur, Literatur, Film und Geopolitik.

Foto: Holger Homann