Slow statt schnell – ein Interview mit Serdar Kutucu

Interview Serdar Kutucu

Serdar Kutucu, Innovationsexperte mit Affinität zum Design, erklärt uns im Interview die langsame Lebenseinstellung, warum es oft besser ist, tiefer als schneller zu gehen und was er mit Nagomi verbindet.

Was macht die Entdeckung der Langsamkeit mit den Menschen?

Die Frage ist: Was heißt Langsamkeit eigentlich? Wenn wir im Sinne von „Slow“ sprechen, dann hat es eine metaphorische Bedeutung und es geht nicht um die Geschwindigkeit, sondern um eine Lebenseinstellung. Unsere Inspiration kommt unter anderem von der Slow-Food-Bewegung, diese entstand vor über 30 Jahren in Italien. Einer der Meilensteine war, als McDonald’s eine Filiale im historischen Zentrum von Rom plante und Carlo Petrini einen Protest startete. Der Protest stand für die Regionalität, Lokalität und Nachhaltigkeit – bewusst und empathisch. Dafür steht Slow auch – für ein bewussteres Leben und dafür, dass wir die Implikation unseres Tuns berücksichtigen. Wir leben in der heutigen Zeit in einem sehr automatisierten Prozess. In einem ständigen Wettlauf, einem Hamsterrad. Viele wissen gar nicht mehr, warum sie etwas machen. Die Philosophie hinter Slow ist es genau deshalb, einfach Dinge zur rechten Zeit zu tun, langfristig zu handeln und nicht kurzfristig schnelle Lösungen zu finden. Jeder Mensch kann einen Sinn im Leben finden, wenn man alle Dinge und Ereignisse, mit denen man im Leben konfrontiert ist, bewusster annimmt – sowohl die guten als auch die schlechten. So findet man dann mehr Sinn für das eigene Leben.

Was ist die Vision und was sind die Werte von „Slow“?

Unsere Vision ist es, diese Lebensphilosophie fortzusetzen. Wir entwickeln also unsere eigenen Orte, an denen man das erleben kann. Das sind keine klassischen Hotels, sondern Konzepte aus Residences, Büros, Studios etc. Jeder unserer Plätze hat immer eine Art Tempel, wo wir unsere Inhalte pflegen und teilen. Wir wollen mit unserer Architektur und dem Design nicht nur herausragende Orte schaffen, sondern diese auch wirklich leben und mit Inhalten befüllen. Andere können an dieser Reise teilnehmen und für sich auf ihre eigene Art und Weise etwas mitnehmen. Wir wollen nicht, dass Leute nur kurzfristige Erlebnisse haben, sondern vielmehr Plätze entwickeln, an denen wir über Programme, mit Bildung und Wissen unsere Philosophie mit den Menschen teilen können. Es ist ein bisschen so, als ob man gute Freunde besucht. Wir wollen etwas aufbauen, das langfristig ist und vielleicht sogar für immer hält. Wenn man sowas überhaupt sagen kann. 

Was muss ein Ort erfüllen, damit er eurem holistischen Anspruch gerecht wird?

Es ist uns wichtig, dass die Plätze ihren Ursprung reflektieren. Wir regenerieren solche Plätze entweder ihrem ursprünglichen Nutzen entsprechend oder passen sie der Destination neu an. Wir wollen uns mit den Orten verbinden und so auch in die Slow-Welt eintauchen.

Was, glaubst du, suchen die Menschen und können es bei euch finden?

Ich glaube, dass Menschen generell nach mehr Sinn im Leben suchen. Was daraus resultiert, ist die Suche nach einer gewissen Zugehörigkeit, weil jeder eine Familie über die Familie hinaus sucht – eine Community vielleicht. Die Leute aus unserer Community haben unterschiedliche Professionen, unterschiedliche Ursprünge, Geschlechter, Alter. Was sie verbindet, sind der Mindset, die Neugier, die Werte und die Lebensphilosophie. Unser Umfeld ist sehr menschlich. Die Menschen, die sich an unserem Umfeld beteiligen, wollen die Reise auch gemeinsam begehen.

Woran arbeitet ihr momentan, was ist gerade in Entwicklung?

Wir sind im Moment noch vor allem zwischen Deutschland und Portugal aktiv. 45 Minuten südlich von Lissabon, direkt am Atlantik, entwickeln wir eine ehemalige Farm mit 120 Hektar Land. Dort wollen wir eine organische Farmkultur implementieren. Dieses Jahr haben wir dazu ein Programm gelauncht: CSA „Community Supported Agriculture“ – mit diesem Programm können wir bis zu 100 Familien wöchentlich Gemüse, Obst und auch Blumen von unserer Farm zur Verfügung stellen. Für die Unterkunft planen wir 48 Einheiten, eine Mischung aus Zimmern, Suiten und Cabins, und später ungefähr 40 Privathäuser – mit der Absicht, dass die Käufer da auch ganzjährig leben. Wir wollen Galerien, Arbeitsstudios, Concept Stores und einen Farmshop aufbauen und somit ein eigenes Eco-System erstellen. Und das alles trotzdem stadtnah. Es ist also eine Mischung aus Hospitality, Arbeit, Tourismus und Privatleben. Das Pendant dazu haben wir direkt in der Stadt mit einem Gästehaus in Lissabon. Das ist unser Kultursalon. Parallel dazu haben wir einen Surfclub mit einem Restaurant direkt am Strand von Sao Joao Caparica übernommen. Zurück in Deutschland starten wir das nächste große Projekt – den Kreativen Campus in Berlin. Es ist ein Modell mit Übernachtungsmöglichkeit, Büroflächen, einem Restaurant und Community Spaces. Außerhalb von Berlin, in der Uckermark, entwickeln wir gerade ein kleines Schloss mit 15 Zimmern – wiederum das Pendant zur Stadt. Wir basteln hier an einem Farmers Collective mit der Absicht, unseren eigenen Bedarf mit guten Erzeugnissen zu decken, aber auch unserer Community in Berlin anzubieten. Eventuell veranstalten wir dann auch regelmäßig einen Farmers Market.

Wann ist ein Projekt für euch interessant?

Irgendwie ergibt sich meistens alles natürlich, weil man ja nicht unbedingt danach sucht. Ich habe das Glück, ein großes und internationales Netzwerk im Rücken zu haben. Da bekommen wir Angebote und Anfragen und so kommen dann auch Standorte und Projekte zustande. Aber man muss einen Platz natürlich spüren, denn nur dann nimmt man den Standort, das Umfeld und die Nachbarschaft richtig wahr. Es ist auch wichtig für uns, an den Plätzen teilzunehmen. Im Moment haben wir uns auch nicht auf Europa beschränkt, sondern erst einmal nur darauf fokussiert. Für uns müssen einfach die Slow-Werte gelebt werden und wir wollen uns nicht in der großen, weiten Welt verlieren.

Was bedeutet „Slow“ eigentlich für eure Mitarbeiter?
Und für die Gäste?

Schwierige Frage, da jeder eine subjektive Wahrnehmung hat und es somit auch individuell übersetzt. Manche Menschen können damit zum Beispiel gar nichts anfangen, aber das passt auch so, weil wir wissen, dass wir uns in einer Nische befinden. Die Leute, die es interessiert und die an die Werte und die Vision glauben, erleben dafür auch eine große Motivation und Leidenschaft – so wie unser Team.

In dieser Ausgabe von THE STYLEMATE geht es um Nagomi, also den japanischen Weg zu Harmonie und Lebensfreude. Was haben Slow und Nagomi gemein bzw. was verbindet sie?

Beide sind essenzielle und wichtige Voraussetzungen für ein gutes Leben. Harmonie heißt nichts anderes, als dass man im Umfeld empathisch miteinander umgeht, Rücksicht und Verantwortung zeigt. Lebensfreude kommt oftmals durch die Entdeckung des Sinns des eigenen Lebens, und das ist es auch, was wir uns zum Ziel machen – lieber tiefer gehen als schneller gehen.

In welchen Momenten erlebst du die größte Lebensfreude?

Ich glaube, meine Momente der größten Lebensfreude sind die, in denen ich Glück und Freude mit anderen teilen kann – mit meiner Frau, mit Freunden, aber auch mit Unbekannten.

Slow Hospitality Management

Slow hat sich seit der Gründung von La Granja Ibiza im Jahr 2016 still und leise entfaltet. Die Umwandlung eines stillgelegten landwirtschaftlichen Grundstücks in ein funktionierendes Gehöft, das dem Diskurs über Lebensmittel gewidmet ist, bildete die Grundlage für ein neuartiges Konzept der Gastfreundschaft. Slow begann, eine Gemeinschaft von Designern, Landwirten, Schriftstellern, Künstlern, Kunsthandwerkern und Architekten zusammenzustellen, deren Arbeit sich mit der Langsamkeit auseinandersetzt, um eine Neuausrichtung der Werte im Gastgewerbe und darüber hinaus zu erreichen.