Prag reanimiert sein Moldau-Ufer

Die „goldene Stadt“ haucht ihrem Moldau-Ufer neues Leben ein: Lang gehegte Revitalisierungspläne gehen voran. Und was das Büro Petr Janda vor Ort schafft, macht Prag um exquisite Highlights reicher.

Karlsbrücke, Burg, Goldenes Gässchen, Brauhaus „U Fleků“ und so vieles mehr: Prag hat seit jeher viel zu bieten. Und durch die Revitalisierung der Flussufer ist (und wird) die „goldene Stadt“ um weitere Highlights reicher. Denn Petr Janda, seit 2017 leitender Architekt des Vorhabens, beschert der Moldau-Promenade einen glitzernden Mix aus Alt und Neu.

Langer Weg zur neuen Pracht

Vielseitige „Bullaugen“: Aus alten Gewölben wurden moderne Räume für Kultur, Gastronomie und mehr

Ursprünglich belebter Kai und Umschlagplatz, verfiel die Zone an der Neustadt-Seite der Moldau nach dem Hochwasser von 2002 und wurde nur noch als Parkplatz genützt. Das Projekt, Prags Uferbereich neu zu beleben, wurde 2009 von engagierten Bürgern initiiert. Mit dabei: Der Prager Architekt und Künstler Janda, der sich seitdem um die Revitalisierung und Sanierung des Gebiets bemüht. Ein aufwändiger Prozess: Die erste Phase konnte erst 2019, also zehn Jahre später fertiggestellt werden. Allerdings: Das Ergebnis des im Auftrag der Stadt Prag realisierten Vorhabens ist beeindruckend. Und was noch folgen soll, ist nicht minder faszinierend.  Das revitalisierte Gebiet erstreckt sich entlang der drei Prager Uferbefestigungen Rašín, Hořejší und Dvořák. Es umfasst eine Länge von fast vier Kilometern. Die abgeschlossene erste Phase ist die größte Investition in Prags öffentlichen Raum seit der Revolution von 1989. Die Baukosten des sozio-kulturell bedeutsamen Projekts werden mit sechseinhalb Millionen Euro beziffert.

Neue Welt in alten Mauern

Im Fokus stand die Rekonstruktion von 20 Gewölben in der Ufermauer, die ursprünglich als Eislagerräume dienten. Statt klassische Innenräume zu schaffen, wurden die Gewölbe mit dem Außenbereich verschmolzen. Dadurch werden Uferbereich und Fluss eng miteinander verwoben. Petr Jandas Konzept betrachtet die Moldau als Rückgrat von Prag. Die Uferarchitektur werde quasi zu dessen Wirbelsäule. Und deren Uferböschungen zu „Wirbeln“, die das Skelettsystem der Stadt halten. Das Rückgrat dürfe kein steifes, montiertes und versteinertes Relikt bilden, erklärt der Architekt. Es soll architektonisch und inhaltlich authentisch sein und fließendes und kulturelles Leben ermöglichen.

 Vielseitiges Modul-System

Die neu gestalteten Gewölbe werden als Cafés, Clubs, Ateliers, Werkstätten und Galerien dienen. Auch die Filiale einer Bibliothek und Raum für Nachbarschaftstreffen sollen darin Platz finden. Und, nicht zu vergessen: öffentliche Toiletten. Der Entwurf schafft ein vielseitiges Modul-System: Jeder Raum verfügt über eine Grundausstattung. Diese beinhaltet alle betrieblichen und technischen Einrichtungen sowie eine verschiebbare Bar. Ein Benutzerhandbuch gibt vor, in welchem Rahmen die Mieter Veränderungen vornehmen können. So wird die Grundvision erhalten und zugleich den Mietern Authentizität ermöglicht. Über die Vergabe der Einheiten entscheiden Manager, Architekt und ein Kurator.

Kleiner Eingriff, große Wirkung

Die baulichen Eingriffe fügen sich symbiotisch in die historische Ufermauer ein. Dadurch entsteht wieder ein monumentales Ganzes. Die sechs Gewölbe am Rašín-Damm folgen dem fast kreisförmigen Bogen des oberen Teils der bestehenden Öffnungen. Der Entwurf selbst basiert auf einem kleinen Eingriff, der mehr nimmt, als er hinzufügt. Alte Fassaden aus Streckmetall und Steinkonstruktionen, die in die Brückenbögen der Ufermauer eingebaut waren, wurden abgerissen. Sie wurden durch großformatige Rundfenster ersetzt, die an Bullaugen erinnern. Aus Stahl und Glas gefertigt, lassen sie sich durch diagonale Drehung innerhalb des Rahmens öffnen.

Die „Wunderfenster“ von Prag

Die elliptischen, schwenkbaren Fenster sind vermutlich die weltweit größten ihrer Art: Ihr Durchmesser beträgt fünfeinhalb Meter. Sieben Zentimeter dick, liegt ihr Gewicht bei jeweils zweieinhalb Tonnen. Das Öffnen und Schließen erfolgt motorbetrieben. Die Bogenverkleidungen der alten Portale werden durch gestufte Steinvolumina ergänzt. Diese verbergen Installationsschacht, Klimaanlagen-Entlüftung und die Elemente des Hochwasserschutzes. Die vierzehn Gewölbe am Hořejší-Ufer verfügen über skulpturale Eingänge aus Stahl. Sie sind so gebogen, dass sie im geöffneten Zustand Gewölbe, Ufer- und Außenbereich verbinden.

Durchdachtes Innenleben

Im Zuge der Revitalisierung wurden alle bestehenden Einbauten und Böden entfernt. Verstärkte Bodenplatten für speziellen Hochwasserschutz wurden gelegt, Wände isoliert und vieles mehr. Design und Material der einzelnen Elemente der Gewölbe sind für alle Raumtypen einheitlich. Wände und Decken sind aus sandgestrahltem, die Böden aus gegossenem Beton. Leitungen und Haustechnik verbirgt Architekt Jandas Konzept geschickt in den Gewölbestrukturen. Die neuen Gewölbe am Moldau-Ufer von Prag sind barrierefrei. Und sie können ganzjährig genutzt werden. Auch ohne die Fenster in der kalten Saison schließen zu müssen. Dafür sorgt eine Kombination aus Fußbodenheizung, Klimaanlage mit Wärmerückgewinnung und Infrarotheizungen. Abwasser wird über ein Druckpumpensystem in die Kanalisation geleitet, die oberhalb des Dammes verläuft.

Verlockend und geheimnisvoll

Es sind viele Facetten, die Petr Jandas Design zur Wiederbelebung der Flusspromenade so sehenswert machen. Einerseits wirken die geschickt modernisierten Gewölbe wie ein wiederentdeckter Zugang zu den historischen Mysterien der Stadt. Andererseits locken sie zum bunten, absolut „heutigen“ Kultur- und Freizeit-Genuss. Das Ergebnis der bereits abgeschlossenen Projektphase passt perfekt zum „alten“, wie auch zum „neuen“ Prag. Dass es in hippen Reiseführern bislang kaum Erwähnung findet, dürfte sich bald ändern. Denn „instagrammable“ sind die extravaganten Bullaugen am Ufer allemal.

Stadterneuerung am Wasser

Jandas außergewöhnliches Werk in Prag ist ein Beispiel gekonnter Stadterneuerung am Wasser. Wie famos die Belebung urbaner Ufer sich auf die Lebensqualität auswirken kann, demonstrieren etwa auch Projekte wie Henning Larsens „Belfast Waterside“ oder die Revitalisierung der Kaiserlichen Werft in Danzig. Auch was in Prag in naher Zukunft folgen soll, hat das Potenzial, zum Hot-Tipp für Einheimische und Besucher zu werden. Die nächsten Phasen der Ufer-Revitalisierung umfassen nämlich nicht nur Stadtmobiliar wie Bänke, Trinkbrunnen und freistehende Toiletten. Auch ein schwimmender Terminal für Kreuzfahrtschiffe und ein Beleuchtungssystem sind vorgesehen.

Ein „Floating Pool“ für Prag

Ein besonderes Highlight steht ebenfalls auf der Agenda: Petr Jandas Plan für einen „Floating Pool“ in der Moldau, der an die Prager Tradition der Flussbäder anknüpft. Einem „Prague Morning“-Bericht zufolge, könnte dieses Schwimmbad schon innerhalb der kommenden zwei Jahre fertiggestellt werden. Mit einem Jury-Preis bei den begehrten A + Awards wurde es jedenfalls schon jetzt bedacht.

Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: Petr Janda / BoysPlayNice