Dan Buettner über die Geheimnisse der gesündesten Gemeinschaften der Welt
Interview: Nina Prehofer
THE STYLEMATE: Wie alt möchten Sie selbst einmal werden?
Dan Buettner:
Für mich geht es weniger um eine bestimmte Zahl, sondern darum, meinen Jahren Leben zu geben – und meinem Leben gesunde Jahre. 100 zu werden, ist oft ein genetischer Lottogewinn, aber die gute Nachricht ist: Wer den Prinzipien der Blue Zones folgt, kann seine Chancen deutlich erhöhen. Es geht darum, so lange wie möglich vital, erfüllt und mit Sinn zu leben – und dann schnell zu sterben.

Wann haben Sie sich erstmals für das Thema Langlebigkeit interessiert?
Vor etwa 20 Jahren, als ich Expeditionen für National Geographic leitete. Mich faszinierte nicht nur, wer am längsten lebt, sondern wie diese Menschen es schaffen – und ob wir von ihnen lernen können. Das wurde die Grundlage für das Blue Zones Project.
Was hat Sie in Ihrer Blue Zones Forschung am meisten überrascht?
Wie entscheidend ein klarer Lebenssinn ist. Purpose ist eines der stärksten „Tools“ für ein langes Leben. In den Blue Zones wissen die Menschen genau, warum sie morgens aufstehen. In Okinawa nennt man es Ikigai, in Nicoya Plan de Vida. Dieser Sinn kann sein, sich um Enkel zu kümmern, in der Gemeinschaft aktiv zu sein oder einen Garten zu pflegen. Menschen mit starkem Lebenssinn leben im Schnitt sieben Jahre länger als jene ohne. Es tut nicht nur der Seele gut, sondern auch dem Körper.
Wenn Sie es zusammenfassen müssten: Was haben alle Blue Zones gemeinsam?
Es gibt neun gemeinsame Merkmale – die sogenannten Power 9 – aber die übergeordneten Themen sind: überwiegend pflanzenbasierte Ernährung, tägliche natürliche Bewegung, starke soziale Bindungen, ein klarer Lebenssinn und eine Umgebung, die gesunde Entscheidungen leicht macht.


Sie sagen oft, die Umgebung sei wichtiger als Willenskraft. Was meinen Sie damit in Bezug auf Langlebigkeit?
Willenskraft ist wie ein Muskel – sie ermüdet. Aber wenn Ihre Umgebung Sie ganz natürlich dazu bringt, sich mehr zu bewegen, vollwertig zu essen, Beziehungen zu pflegen und Stress zu reduzieren, brauchen Sie kaum Willenskraft. Sie leben einfach automatisch länger und gesünder.
Wie wichtig sind soziale Kontakte im Vergleich zu Ernährung und Bewegung?
Mindestens genauso wichtig – vielleicht sogar wichtiger. In den Blue Zones sind Menschen in stabile soziale Netzwerke eingebettet. Sie sind nicht einsam. Sie haben Menschen, auf die sie sich verlassen können. Einsamkeit ist so schädlich wie 15 Zigaretten am Tag. Soziale Verbindung ist wie Medizin. Wenn es schwerfällt, neue Freunde zu finden: Engagieren Sie sich freiwillig für etwas, das Ihnen am Herzen liegt. Dort trifft man Gleichgesinnte.
Ist moderne Medizin überschätzt, wenn es um ein langes Leben geht?
Die moderne Medizin ist hervorragend darin, Krankheiten zu behandeln – aber nicht, sie zu verhindern. Etwa 80 % unserer Lebenserwartung hängen von Lebensstil und Umfeld ab. Wir müssen den Fokus verschieben: weg von Pillen, hin zu Politik; weg von Behandlung, hin zu Prävention. Quick Fixes wie Diättrends, Supplements, Biohacking und Superfoods sind definitiv überschätzt.
Gibt es einen Irrglauben über das Älterwerden oder Langlebigkeit, den Sie ausräumen möchten?
Dass Altern zwangsläufig Abbau bedeutet. In den Blue Zones bleiben Menschen oft bis ins hohe Alter aktiv, geistig fit und sozial eingebunden. Altern muss nichts sein, wovor wir uns fürchten – wenn wir gut leben, kann es eine reiche und erfüllende Lebensphase sein.
Welche drei Tipps würden Sie jemandem geben, der in einer typischen westlichen Stadt lebt und heute etwas verändern möchte?
- Küche umgestalten: Ungesunde Lebensmittel aussortieren und durch vollwertig-pflanzliche Optionen ersetzen. Kaufen Sie ein pflanzenbasiertes Kochbuch und integrieren Sie ein paar neue Rezepte.
- Mehr gehen: Schon 30 Minuten pro Tag machen einen Unterschied.
- Ihr soziales Umfeld prüfen: Verbringen Sie Zeit mit Menschen, deren gesunden Lebensstil Sie bewundern. Alte Freunde müssen Sie nicht aufgeben – aber vielleicht neue finden, die lieber wandern als in Bars zu sitzen.
Kritiker sagen oft, Blue Zones ließen sich nicht auf andere Orte übertragen. Was sagen Sie dazu?
Das stimmt nicht – wir haben es bewiesen. Wir haben mit über 70 Städten gearbeitet, u.a. Albert Lea (Minnesota), Fort Worth (Texas) und Naples (Florida), um Blue Zones Prinzipien umzusetzen – mit messbaren Verbesserungen bei Gesundheit und Lebenserwartung. Man muss nicht in eine Blue Zone ziehen – man kann selbst eine schaffen.
Welche Rolle spielen Lebenssinn und Spiritualität für Langlebigkeit?
Eine große. In allen Blue Zones haben Menschen einen klaren Lebenssinn – wie das Ikigai der Okinawaner. Und die meisten gehören einer Glaubensgemeinschaft an. Purpose gibt Richtung, Spiritualität gibt Verbindung. Beides reduziert Stress und stärkt Resilienz.
Welche Rolle spielt Technologie – Wearables oder Gesundheits-Apps – in Ihren Langlebigkeitsprinzipien?
Sie können hilfreich sein – aber sie sind nicht die Lösung. Die wichtigsten Tools für ein langes Leben sind Low-Tech: gehen, zusammen kochen, gärtnern, mit Freunden lachen. Wenn Technik hilft, Sie daran zu erinnern oder zu motivieren – super. Aber sie sollte diese Dinge nicht ersetzen.


Wie sieht ein „typischer“ Tag bei Ihnen aus, wenn Sie die Blue Zones Prinzipien anwenden?
Morgens schreibe ich und plane den Tag (mit schwarzem Kaffee). Gegen 11 Uhr esse ich meine erste Mahlzeit – meistens sardische Minestrone, die ich sonntags in großen Mengen koche und einfriere. Nachmittags erledige ich Telefonate, oft beim Gehen oder Radfahren. Gegen 17 Uhr beende ich die Arbeit und spiele Pickleball, schwimme oder spaziere am Strand (ich lebe in Miami). Abends treffe ich Freunde oder lade sie zu einem vegetarischen Abendessen ein.
Haben sich Ihre Ansichten seit Ihrem ersten Buch zu diesem Thema verändert?
Ja – vor allem in Bezug auf Politik und Umfeld. Früher habe ich mehr auf individuelle Entscheidungen fokussiert. Aber ich habe immer wieder gesehen: Wenn man das Umfeld verändert – Schulen, Straßen, Ernährungssysteme – verändert man die Gesundheit ganzer Bevölkerungen. Dort liegt die wahre Magie.
Und zuletzt: Gibt es eine Gewohnheit, mit der Sie trotz allem Wissen noch kämpfen?
Reisen bringt mich manchmal aus dem Rhythmus. Ich schlafe unterwegs oft schlecht. Aber ich erinnere mich daran: Es geht nicht um Perfektion, sondern um Konsistenz über die Zeit. Langlebigkeit ist kein Sprint. Es ist ein Marathon.
Über Dan Buettner
Dan Buettner ist National Geographic Explorer und mehrfacher New York Times Bestseller-Autor. Er entdeckte fünf Regionen der Welt – die sogenannten Blue Zones – in denen Menschen besonders lange und gesund leben. Seine Artikel im New York Times Magazine und National Geographic gehören zu den meistgelesenen.
Buettner gründete Blue Zones LLC und arbeitet mit Städten, Krankenhäusern und Versicherungen zusammen, um Blue Zones Erkenntnisse umzusetzen und Städte gesünder zu machen. In Fort Worth, Texas, sank die Fettleibigkeitsrate um 3 %, mit prognostizierten Einsparungen von 250 Millionen Dollar im Gesundheitswesen. Bisher haben über 70 Städte Blue Zones Projekte implementiert und so die Gesundheit von mehr als 10 Millionen Amerikanern verbessert.
Sein neuestes Buch Blue Zones Kitchen: One Pot Meals; 100 Recipes to Live to 100 erscheint am 2. September. Es basiert auf Forschung und wurde für vielbeschäftigte Amerikaner entwickelt, um die Hauptursache chronischer Krankheiten zu bekämpfen: hochverarbeitete Lebensmittel. Da Amerikaner jährlich über 100-mal auswärts essen und dabei rund 300 zusätzliche Kalorien aus Zucker und Salz aufnehmen, setzt Buettner auf eine kraftvolle Lösung: selbst kochen. Dafür arbeitete er mit dem AI-Labor der Stanford University, um über 670.000 Rezepte zu analysieren und beliebte Geschmacksprofile herauszufiltern. Das Ergebnis: 100 schnelle, günstige, pflanzenbasierte One-Pot-Rezepte, die bis zu zwölf Lebensjahre schenken können.

Seine Netflix-Serie Live to 100 erhielt sechs Emmy-Nominierungen und gewann drei. Außerdem hält er drei Guinness-Weltrekorde im Distanzradfahren.
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