DAS HERZ DER DINGE // Kolumne by Helder Suffenplan

Maître Couturier - Eau de Parfum, Fhoto: Romin Favre - C’est la Vie Agency

Obwohl wir in einer materialistischen Welt leben, hat das Ding an sich einen erstaunlich schlechten Ruf: Es gilt als tot und seelenlos und der organischen Welt der Pflanzen, Tiere und Menschen in jeder Hinsicht unterlegen. Wer sein Herz zu sehr an Dinge bindet, steht schnell im Verdacht, ein oberflächlicher Charakter zu sein. Man kann das etwas heuchlerisch finden, denn wir alle stecken viel Energie in die Jagd nach schönen und wertvollen Dingen, für deren Erwerb wir wiederum das Ding Geld benötigen, das es zu verdienen gilt.

Offenbar erhoffen wir uns davon mehr als die bloße Befriedigung elementarer Bedürfnisse wie Nahrung und Behausung, anders ist unsere Leidenschaft für das Materielle kaum zu erklären. Oft heißt es, dahinter stehe der vergebliche Versuch, seelischen Hohlraum mit Materie zu füllen, wobei aber unser Hunger nach Sinn nur in und durch uns selbst gestillt werden könne. Ich finde, dieser bösartigen Verleumdung der Dinge sollten wir dringend ein Ende bereiten!

Für mich sind Objekte alles andere als seelenlos:

Manche Dinge haben eine Aura, sie sprechen zu uns, erzählen Geschichten. Den Kiesel, den wir an einem fernen Strand aufgelesen haben, brauchen wir nur in die Hand zu nehmen und schon hören und riechen wir die Brandung, spüren die Sonne auf unserer Haut. Der getrocknete Zweig, der einmal Teil eines Blumenstraußes war, ist viel mehr als eine verendete Pflanze. Er ist das Symbol eines in der Vergangenheit liegenden Festtags, einer Beziehung, eines Abschieds. Schöne Beispiele sind die Reliquien des Mittelalters, denen man nicht nur Wert, sondern sogar Heilkräfte zuschrieb.

Maître Jardinier – Eau de Parfum, Foto: Romin Favre – C’est la Vie Agency

Wie ist das zu erklären?

Ist es bloß unser Menschenblick, der den Dingen unsere Wünsche und Erwartungen überstülpt? Oder kann ein Stein wirklich ein Speicher sein für Erinnerungen, Emotionen – ja, Liebe?

Der Physiker Hans Peter Dürr sagte:

Es gibt keine Materie, es gibt nur das Dazwischen.

Wenn man sich vorstellt, dass die Größe des Atomkerns im Atom der eines Reiskorns in einem Fußballstadium entspricht, bekommt man eine Ahnung von den Ausmaßen dieses Dazwischens. Die Physiker sagen, die Dinge beständen aus kollabierten Wellen, die nur durch ihre Beziehung untereinander zusammengehalten werden. Materie ist also nichts Statisches, sondern ein andauernder Bindungsvorgang. Dürr nannte sie deshalb auch „geronnener Geist“. Auch ein Stein hat also ein bisschen Bewusstsein – allerdings weniger als eine Amöbe und sehr viel weniger als (die meisten) Menschen.

Maître Joaillier – Eau de Parfum, Foto: Romin Favre – C’est la Vie Agency

Mein Laienverstand begreift das alles zwar nur ahnungsweise, aber in meiner Version der Quantenphysik ist in einem Stein eine Menge Platz für gespeicherte Erinnerungen und Gefühle.

Ich glaube auch, dass Objekte von denen beeinflusst werden, die zu ihrer Entstehung beigetragen haben.

Nehmen wir etwas so Zauberhaftes wie die Ukulele, auf der Marilyn Monroe 1959 in Some Like It Hot das Stück Running Wild spielte: In diesem Objekt sind nicht nur die Musikalität und der Erfindungsgeist der gesamten Historie der Saiteninstrumente enthalten, bis ganz zurück zu einem Höhlenmenschen, der einen getrockneten Säbelzahntigerdarm über eine Astgabel spannte. Auch die Lebensgeschichte des Instrumentenbauers, der diesen speziellen Klangkörper schuf, die Atmosphäre und der Geruch seiner Werkstatt, seine Stimmung am Tag, als er mit der Arbeit begann, schwingen hier wortwörtlich mit. Natürlich auch jeder Jahresring des mächtigen Baums, der für die kleine Ukulele gefällt wurde, und die Vibes des Menschen, der einer Schildlaus-Population den Schellack entriss, der für den schönen Glanz sorgt. Die Tatsache, dass Marilyn das Teil gespielt und an ihr Herz gedrückt hat, spielt natürlich ebenfalls eine Rolle!

Maître Chausseur – Eau de Parfum, Foto: Romin Favre – C’est la Vie Agency

Ähnlich verhält es sich mit Parfums.

Vielleicht sogar in noch stärkerem Maße, denn in einer Duftkreation sind oft Dutzende Ingredienzen enthalten, zusammengetragen von den unterschiedlichsten Orten der Erde, wo sie angebaut, geerntet und extrahiert wurden, um schließlich in einem Labor in Genf, Grasse oder New York dank der Genialität eines Parfümeurs Teil eines größeren Ganzen zu werden. Zu einer Dufterzählung, in die wiederum die ganz persönlichen Visionen des Createurs eingebettet sind. Und selbst die synthetischen Moleküle, die einem Parfum oft erst Eleganz und Intensität verleihen, wurden von einem Experten entdeckt oder erdacht. Denkt man die Gestaltung und Entstehung der Flasche, der Verpackung, der Brand Identity mit, wird deutlich, dass man mit dem Druck auf den Sprühkopf das Ergebnis eines ungeheuer komplexen Zusammenspiels von Mensch, Technik und Natur auf seine Haut aufträgt. Und wenn all dies auf die Aura des Objekts abgefärbt hat, stehen wir mit einem Spritz mit allen Beteiligten in Verbindung:

Die Dinge werden berührt von unzähligen Händen und Herzen – und berühren dadurch uns.

Maître Céramiste – Eau de Parfum, Foto: Romin Favre – C’est la Vie Agency

Eine Parfum-Marke, die sich die Magie der Entstehung der Dinge zu ihrem Thema gemacht hat, ist Extrait d’Atelier. Sie haben bereits dem Schneider-, Juwelier-, Schuhmacher-, Töpfer- und Gärtnerhandwerk ein olfaktorisches Denkmal gesetzt. Der Duft Maître Couturier zum Beispiel beschwört die Atmosphäre eines lichtdurchfluteten Ateliers und bezieht die Anmutung und den Geruch der Materialien und Werkzeuge mit ein.

Maître Couturier – Eau de Parfum, 100ml
Unisex, elegantes, sauberes und raffiniertes Parfum.
Duft von kostbaren, seidigen Stoffen, dampfender Luft, Holztischen und Metallwerkzeugen.
Duft: aromatisch, holzig, moschusartig
Herz: Lavendelblüten und afrikanisches Veilchen
Basis: weißer Moschus, Birkenholz, Lorbeer und Guayaco
€ 160,-

Die Mitgründerin Chiara Ronzani beschreibt dies in der Sprache der Poesie so:

Stapel von Stoffballen, der Dampf eines Bügeleisens, kupferne Finderhüte, Stahlscheren, Holztische; das Quietschen einer alten Nähmaschine, ein Faden läuft durch das Tuch; die Symphonie der Nadeln.

Maître Couturier – Eau de Parfum, Foto: Romin Favre – C’est la Vie Agency

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Helder Suffenplan

HELDER SUFFENPLAN

ist unabhängiger Publizist und Creative Consultant aus Berlin. Schon seit seiner Kindheit hegt er eine besondere Leidenschaft für Parfums. Mit dem erfolgreichen Start von SCENTURY.com – dem ersten Online-Magazin für Perfume Storytelling – im Jahr 2013 wurde Helder zur anerkannten Persönlichkeit in der globalen Welt der Düfte. Er war Jurymitglied u. a. für The Art & Olfaction in Los Angeles oder dem Prix International du Parfumeur- Créateur, Paris. Als Autor verbindet er sein Lieblingsthema Parfum mit vielfältigen Bereichen wie zeitgenössischer Kunst, Popkultur, Literatur, Film und Geopolitik.

Foto: Holger Homann