Polarisierender Brutalismus

Das Frame House in der Algarve, geplant von Pedro Domingos Arquitectos, polarisiert wie selten ein Objekt. Brutalistischer – für ein Wohnhaus – geht es fast gar nicht. Und so liegt die Kraft des Projekts nicht nur im unverfälschten Stil, sondern auch im Entfachen des Diskurses über Architektur.

Auf einem Hügel oberhalb von Santa Bárbara de Nexe, einer kleinen Gemeinde im Hinterland der portugiesischen Algarve, erhebt sich ein Bauwerk, das zwischen Ruine und Monument changiert. Mit seinen strengen Betonwänden, den flachen Dächern und der radikal minimalistischen Formensprache wirkt es wie ein Relikt aus einer anderen Zeit.

Oder wie ein Statement, das bewusst gegen alle Erwartungen an mediterrane Wohnkultur gerichtet ist. Denn das ist es: Keine weiß getünchten Mauern, kein quadratischer Grundriss mit verschachtelten Anbauten und Vorsprüngen, keine Terracotta-Farbpalette, verspielten Torbögen, roten Fliesendächer. typisch für den mediterranen Stil.

Sprache der Reduktion und Unverfälschtheit

Das Haus, das von weitem wie eine Burg oder militärische Anlage erscheint, öffnet sich bei näherer Betrachtung als architektonisches Experiment im Geist des Brutalismus. Sichtbeton, rohe Oberflächen, klar definierte Geometrien: Alles an diesem Gebäude spricht eine Sprache der Reduktion und Unverfälschtheit.

Frame House
Frame House steht auf einer Anhöhe in der Algarve, ist aber alles andere als mediterrane Architektur.

Aber, eben: Statt warmer Farben und traditioneller Materialien setzt der Entwurf auf kühle Strenge und kompromisslose Form. Das muss man wollen. Und so fallen die Kommentare von Usern auf den Design- und Architektur-Webseiten zum Frame House sehr kontroversiell aus. Sie schwanken zwischen hymnischer Begeisterung und blankem Entsetzen: Von „Exquisit. Hejduk trifft Studio Ensamble. Der Brutalismus ist zurück. Endlich“ bis hin zu „Minimalistische Höllenlandschaft. Das würde zu Planet der Affen passen!“ war bis jetzt alles dabei.

Frame House: Brutalismus in neuer Gestalt

Das ist im Grunde aber nichts Neues: Denn brutalistische Architektur, die seit den 1950er- und 1960er-Jahren mit Bauten wie Le CorbusiersUnité d’Habitation“, was wörtlich übersetzt Wohneinheiten heißt, oder den Universitätsgebäuden in London ihren Höhepunkt erreichte, hat seit jeher polarisiert. Ihre rohe Materialität, die Beton zum Ausdrucksträger erklärt, stand oft im Gegensatz zu Vorstellungen von Behaglichkeit und Wohnlichkeit. Doch gerade darin lag ihr revolutionärer Anspruch: Architektur sollte ehrlich sein, unverstellt, frei von dekorativem Schnickschnack.

Frame House
Frame House: Ein privates Wohnhaus, das sich gegen das Erwartbare stellt.

Das Haus in der Algarve nach dem Entwurf von Pedro Domingos Arquitectos greift diese Idee auf, aktualisiert sie aber für eine neue Zeit. Wo einst großmaßstäbliche Wohnanlagen und öffentliche Bauten die Bühne des Brutalismus bildeten, erscheint der Architektur-Stil hier in der Dimension des Privaten. Ein Wohnhaus, das sich bewusst gegen das Bild des gemütlichen Refugiums wendet, gegen das Erwartbare inmitten dieser mediterranen Landschaft mit besagter üblicher Architektur.

Architektur als kraftvolles Gegenüber

Der Standort ist dabei nicht zufällig gewählt. Auf einer Anhöhe gelegen, weit entfernt von urbanen Zwängen, öffnet sich der Bau zur Landschaft und zum Himmel. Die Fernsicht über die bewaldeten Hügel und das Meer wird jedoch nicht romantisch inszeniert, sondern durch scharfkantige Öffnungen und strenge Rahmungen gefasst. Architektur wird hier nicht zum harmonischen Vermittler zwischen Mensch und Natur. Sie wird zum kraftvollen Gegenüber.

Frame House
Der Ausblick wird nicht romantisch inszeniert, sondern durch scharfkantige Öffnungen und strenge Rahmungen gefasst.
Frame House
Horizontale Strenge: Das Gebäude besteht aus mehreren ineinander verschachtelten Volumen, deren Höhe durchgängig gleichgehalten ist.

Das Gebäude besteht aus mehreren ineinander verschachtelten Volumen, deren Höhe durchgängig gleichgehalten ist. Diese horizontale Strenge verleiht dem Ensemble eine fast archaische Präsenz. Von unten betrachtet erinnert Frame House an eine Ruine – eine Assoziation, die nicht zufällig ist. Der Entwurf spielt mit dem Bild des Unvollendeten, des Fragmentarischen, und verweigert bewusst die glatte Perfektion.

Wohnen zwischen Strenge und Freiheit

Doch wie lebt es sich in einem solchen Haus? Innen wie außen herrscht eine „Ästhetik“ der Kargheit. Großzügige Betonflächen, minimale Ausstattung, eine fast klösterliche Strenge prägen die Räume. Die Küche, traditionell Herzstück eines mediterranen Hauses, erscheint hier als funktionalistisch reduzierter Arbeits(t)raum – fern jeder Gemütlichkeit, aber konsequent im Sinne des architektonischen Gesamtkonzepts. Und für manche daher wohl eher ein Albtraum.

Frame House
Ein Wohnhaus, das fern jeder Gemütlichkeit und Behaglichkeit ist, aber konsequent im Sinne des architektonischen, brutalistischen Gesamtkonzepts.

Diese Haltung wirft Fragen auf: Ist ein solches Haus tatsächlich zum Wohnen gedacht, oder ist es vielmehr ein Manifest, eine Skulptur im Maßstab 1:1? Die Grenze ist fließend. Einerseits ermöglicht die Großzügigkeit der Räume ein intensives Erleben von Raum, Licht und Materialität. Andererseits fehlt der Bezug zum Alltäglichen, zum Menschlichen, den man in einem Wohnhaus erwarten würde.

Zwischen Geschichte und Gegenwart

Die Algarve ist eine Region voller Geschichte, geprägt von Burgen, Klöstern und Festungen, die teils als Ruinen erhalten sind. In dieses kulturelle Gedächtnis schreibt sich das Frame House unweigerlich ein. Es wirkt wie eine zeitgenössische Fortsetzung der Wehrarchitektur: ein Bunker, ein Refugium, jedenfalls ein Statement von Dauerhaftigkeit.

Frame House
Vor allem an der sehr sterilen Küche erhitzen sich die Gemüter.

Gleichzeitig verweist es auf eine globale Tendenz in der zeitgenössischen Architektur. Brutalismus, lange Zeit als Relikt vergangener Jahrzehnte abgetan, erlebt seit einigen Jahren eine Wiederentdeckung. Junge Architekten greifen seine Prinzipien auf, transformieren sie und nutzen Beton erneut als ästhetisches und inhaltliches Medium. Das portugiesische Beispiel des portugiesischen Büros Pedro Domingos Arquitectos reiht sich in diese Bewegung ein – nicht als Kopie, sondern als eigenständige Interpretation.

Schönheit im Rohen und Unvollkommenen

Eine Architektur, die provoziert, spaltet. Sicher ist: Das Frame House lässt niemanden kalt. Gerade in der bewussten Unfertigkeit, in der rauen Materialität und im Verzicht auf dekorative Beigaben liegt seine Qualität. Schönheit entsteht hier nicht aus Komfort oder Ornament, sondern aus der Klarheit der Form, aus der Konsequenz der Haltung.

Frame House
Ob man sich im Frame House wohlfühlen würde? Das Haus entfacht jedenfalls den Diskurs über Architektur.
Frame House
Schönheit kann in der Klarheit der Form, der Konsequenz der Architektur gesehen werden.

Ob man das Haus nun liebt oder ablehnt, ob man sich vorstellen kann, darin zu leben oder nicht: Es eröffnet ein Gespräch über das, was Architektur heute sein kann. In einer Zeit, in der viele Wohnhäuser zwischen Standardisierung und „Lifestyle-Marketing“ oszillieren, setzt Frame House ein starkes Zeichen. Es fordert heraus, über die Essenz des Bauens nachzudenken – über Material, Raum und die Beziehung zwischen Mensch und Umgebung.

Beitrag zum architektonischen Diskurs

Dass diese Auseinandersetzung an einem Ort stattfindet, der für viele vor allem mit Sonne, Strand und mediterraner Leichtigkeit verbunden ist, macht den Kontrast umso spannender. Hier steht kein Ferienhaus, sondern ein architektonisches Manifest, das radikal und unbeirrt eine Haltung vertritt.

Frame House, ein Haus wie eine Burg.
Ein großzügig bemessenes architektonisches Experiment.

Das brutalistische Frame House bei Santa Bárbara de Nexe ist weit mehr als ein privater Rückzugsort. Es ist ein architektonisches Experiment, das sich gegen Konventionen stellt, das provoziert und polarisiert. Es verweigert die gewohnte Vorstellung von Häuslichkeit und ersetzt sie durch eine ästhetische Strenge, die sowohl faszinierend als auch abweisend bis hin zu abstoßend wirken kann.

Damit reiht sich das Frame House in den Diskurs über die Rückkehr des Brutalismus ein. Es zeigt, dass Architektur noch immer die Kraft hat, Debatten auszulösen, zu irritieren und neue Perspektiven zu eröffnen. Und genau darin liegt seine größte Stärke.

Text: Linda Benkö
Fotos: Pedro Domingos Arquitectos