Über Internationalität, Haltung und die Rolle von Graz in der Welt des Designs: Eberhard Schrempf
Als Geschäftsführer der Creative Industries Styria und Mitgestalter des UNESCO-Titels „City of Design“ hat Eberhard Schrempf Graz und die Steiermark auf die internationale Landkarte gesetzt.
Im Gespräch mit THE Stylemate spricht er über Offenheit, die Kraft von Netzwerken, die Bedeutung des Designmonats Graz – und warum er die steirische Kreativszene auch in Zukunft bestens positioniert sieht.
Interview: Nina Prehofer
Wie hat sich der Begriff „Design“ in deiner Zeit als Geschäftsführer international verändert und wie hast du diese Entwicklungen nach Graz gebracht?
Eberhard Schrempf:
Design wurde hierzulande lange stark auf Ästhetik und Luxus reduziert: glänzende Oberfläche, Branding, teuer – und oft negativ konnotiert. Das zu verändern war ein langwieriger Prozess, selbst unter Kreativen.
Für mich ist Design heute das intelligente Management von Chaos, um Resultate der Ordnung zu schaffen. Eine Haltung, die urbane, nachhaltige Kultur prägt, Lebensräume intelligent gestaltet und den Alltag verbessert – ökologisch und sozial verantwortlich.
Design ist Methodik, Prozess, analytischer Zugang, Verantwortung für Ressourcen, Kreislaufwirtschaft, Nachhaltigkeit. Designer sind längst verantwortungsbewusste Gestalter mit ethischem Gewissen geworden.
Der Designmonat Graz ist heute international etabliert. Welche Bedeutung hat er im weltweiten Netzwerk der UNESCO Cities of Design?
Eberhard Schrempf:
Der Designmonat ist zentral für die Sichtbarkeit von Graz als UNESCO City of Design – und für die Community selbst, lokal wie international.
Er ist ein Schaufenster, ein Terminal im Netzwerk der Designstädte, ein „must“ für die Branche. Hier treffen lokale Kreative auf internationale Gäste, hier entstehen Kooperationen, Ideen, Impulse.
Trotz vergleichsweise kleinem Budget erzielten wir eine enorme Reichweite: DEZEEN listete den Designmonat 2018 und 2019 als „Best Design Event“, Contemporary Lynx setzte Graz 2019 auf die „must visit“-Liste der zehn wichtigsten Designfestivals weltweit – neben Mailand und London.
Das Modell „Designmonat“ haben inzwischen andere Städte übernommen. Dass die Veranstaltungen über einen ganzen Monat verteilt sind, statt alles in einer Woche zu bündeln, bringt Vorteile für Studios, Publikum, Medien und Tourismus – und steigert verlässlich die Nächtigungszahlen in Graz.
Du hast zahlreiche internationale Kooperationen initiiert – welche waren für dich besonders prägend oder überraschend?
Eberhard Schrempf:
Graz war 2011 die zehnte City of Design – kurz darauf folgte Peking. Ich habe mich stark für die Aufnahme von Detroit, Valencia und Istanbul engagiert, auch durch die Internationalisierung der FH Joanneum.
Mit den UNESCO Cities of Design öffnete sich eine völlig neue Welt. Spannend waren etwa das Staff Exchange Programme, „Designers in Residence COD 100“ – ein 100-tägiges Stipendium – oder die mit Montreal gestartete World Wide Things Collection, ein globaler Online-Marktplatz für ausgewählte Designprodukte.
Ein weiteres Highlight war die Design-Clinic: ein Online-Format, in dem anerkannte Experten kostenlose Erstberatung geben. 2025 eröffnete in Puebla, Mexiko, die erste lizenzierte Design-Clinic.
Im Kern ging es immer darum, der Creative Community Nutzen zu bringen: Horizonte erweitern, Wettbewerbsfähigkeit steigern, neue Märkte erschließen.
Wie wichtig ist Internationalität für eine vergleichsweise kleine Kreativszene wie die in der Steiermark?
Eberhard Schrempf:
Sehr wichtig – aber nur, wenn die Studios auch bereit sind, international zu agieren. Viele konnten wir durch Vermittlungsprogramme ermutigen, erste Schritte zu wagen. Gleichzeitig sind zahlreiche Studios ohnehin global aufgestellt.
Die vermeintlich „kleine“ Szene ist hier ein Vorteil: Man kennt sich, tauscht sich aus, arbeitet zusammen. Das Netzwerk ist internationales Schaufenster, Begegnungsraum, Kooperationsplattform – und für viele Kreative der Startpunkt ihrer ersten internationalen Schritte.
Die Creative Industries Styria haben Graz und die Steiermark international sichtbar gemacht. Was war dein Antrieb, dieses Netzwerk über die Region hinaus zu öffnen?
Eberhard Schrempf:
Tja – wenn man unter sich bleiben will, bin ich definitiv nicht der Richtige.
Meine Erfahrungen als Geschäftsführer von Graz 2003 – Europäische Kulturhauptstadt haben mir gezeigt, was möglich ist: die Dynamik, der Mut, der Anspruch auf Spitzenqualität. All das katapultierte Graz vom Rand Europas ins Zentrum.
Der UNESCO-Titel „City of Design“ ist kein Ablaufdatum, sondern ein Auftrag an die Zukunft – eine logische Konsequenz aus dem Kulturhauptstadtjahr. Eine Öffnung nach außen erfordert immer auch Offenheit nach innen. Authentische Offenheit muss eine Haltung sein – dann kommt auch etwas zurück.
Mein Ziel war es stets, den Unternehmen im Netzwerk einen echten Nutzen zu bringen: Reichweite erhöhen, Märkte öffnen, Potenziale erschließen.
Die CIS war dafür Radar und Brückenbauer – hinein in internationale Netzwerke wie die Creative Cities of Design, die heimischen Kreativen Chancen und direkte Zugänge zum Business eröffneten.
Gibt es Trends oder Strömungen in Design und Kreativwirtschaft, die du auf internationalen Reisen besonders inspirierend fandest?
Eberhard Schrempf:
Das hängt stark von der Stadt ab. Detroit tickt anders als Valencia, St. Etienne anders als Helsinki, Kortrijk oder Bilbao. Aber alle haben ähnliche Herausforderungen: Stadtentwicklung, Leerstand, Verkehr, Gestaltung öffentlicher Räume. Kortrijk hat etwa Parksensoren im Asphalt installiert, damit Autofahrer schnell Besorgungen erledigen können.
Montreal hat mit dem Quartier de Spectacle einen Stadtteil geschaffen, in dem es laut sein darf.
Helsinki integriert Design schon in den Volksschul-Lehrplan. Solche Beispiele inspirieren – auch wenn sie hierzulande oft wenig wahrgenommen werden.
„Graz war nie Glanz und Glitzer. Wir haben die Stadt als Underdog mit Tiefgang positioniert – Designer, die abseits von Red Carpets an echten Lösungen arbeiten.“
Mit welchen Herausforderungen warst du konfrontiert, wenn es darum ging, Graz international als Designstadt zu positionieren?
Eberhard Schrempf:
Graz war nie „Glanz und Glitzer“. Wir haben die Stadt als Underdog mit Tiefgang positioniert – Designer, die abseits von Red Carpets an echten Lösungen arbeiten. Unser Credo: „Design follows content“. Das war steinig, aber ehrlich.
Gibt es eine Begegnung mit einer Persönlichkeit aus der internationalen Design- oder Architekturwelt, die du nie vergessen wirst?
Eberhard Schrempf:
Viele. Besonders einprägsam war eine Nacht am Bosporus, wo ich mit Stefan Sagmeister, Karim Rashid und anderen bei türkischem Çay über Nation Branding diskutiert habe.
Wenn du in die Zukunft blickst: Welche Rolle könnte die steirische Kreativszene im globalen Austausch noch stärker einnehmen?
Eberhard Schrempf:
Ich sehe großes Potenzial. Erste Schritte gibt es etwa in Kooperation mit Mobility- und Automotive-Städten im Netzwerk. Auffällig ist, dass viele Ideen immer wieder neu erfunden werden – hier könnten wir ansetzen. Die Stärke der Steiermark liegt in ihrem kompakten Ökosystem und den Clustern: innovative Unternehmen, enge Zusammenarbeit mit Hochschulen, hohe F&E-Bereitschaft.
Die Chance liegt darin, Design und Kreativität von Anfang an in Entwicklungsprozesse einzubinden, Cross-Cluster-Projekte zu fördern und Zusammenarbeit über Grenzen hinweg zu stärken – lokal wie europaweit.
Persönlich gefragt: Welche Städte oder Kreativzentren weltweit haben dich besonders geprägt – und wo zieht es dich nach deiner Pensionierung privat noch hin?
Eberhard Schrempf:
Sonnenhungrig wie ich bin, wohl nach Valencia. Ebenso faszinierend, nur rauer, sind Detroit oder Bilbao. Am meisten zieht es mich nach Istanbul – dieser kulturelle Clash, das Chaos, die Mischung aus Orient und Okzident, alles im Überfluss – das übt eine unglaubliche Anziehungskraft aus.