Architektur als Resonanzraum zwischen Natur, Philosophie und innerer Balance
Beim Resort Forest Within hat Studio Inspatia viele Elemente fernöstlicher Philosophie berücksichtigt. Mit der „Seinserfahrung“, die das architektonische Konzept den Gästen erlaubt, fühlt man sich jedoch genauso gut an die Existenzialphilosophie eines Martin Heidegger angebunden.
Kita Karuizawa ist nicht nur ein Zungenbrecher, sondern auch ein Ort in der japanischen Präfektur Gunma auf der Insel Honshu. Die Insel ist bekannt vor allem für die Badeorte mit ihren Thermalquellen, auf japanisch „Onsen“, und für die Skigebiete. Kita Karuizawa liegt am Fuße des Vulkans Asama, der zwar immer noch aktiv ist. Jedoch verbreitet der Vulkan keinen Schrecken. Es ist so, als verbinde sich die tektonische Gewalt des Berges mit der stillen Waldlandschaft der Umgebung. Und so entsteht ein Ort, der spirituelle Ruhe und Abgeklärtheit zu atmen scheint.
Stiller, kontemplativer Rückzugsort
Und jetzt sind wir schon mitten im Thema, denn genau hier lässt sich ein architektonisches Projekt entwerfen und realisieren, mit dem Natur und gebaute Form fast mystisch in den Dialog treten können. Es kann ein Raum erschaffen werden, in dem auch die Leere ihren Platz hat. So dachte wohl auch der Auftraggeber des Resorts „Forest Within“.
Die Wahl für die Umsetzung des Projekts fiel auf das in Neu-Delhi ansässige multidisziplinäre Studio Inspatia. Das Konzept hinter dem, was nun Gestalt annimmt: Forest Within sollte ein Rückzugsort werden, der japanische Traditionen nicht nur zitiert, sondern architektonisch aufgreift.
Der Name des Resorts ist Programm. Denn nicht nur steht Forest Within inmitten dichter Zedern- und Kiefer-Wälder mit uralten Baumkronen. Im zeitgenössischen Refugium dominiert die Architektur nicht – sie will den Wald förmlich hinein holen, in das Innere. Sie will den Atem des Waldes hörbar machen.
Das Gebäude erhebt sich leichtfüßig über dem Boden – getragen von filigranen Stahlstützen. Diese Geste verweist bereits auf eine zentrale Haltung von Studio Inspatia: Architektur soll nicht mehr sein, als temporärer Gast in der Landschaft – und das sichtbar. Indem das Haus den Boden nicht versiegelt, sondern durchlässig bleibt, respektiert es sowohl die Topografie als auch das ökologische Gefüge.
Y-Form als rhythmische Raumordnung
Der Grundriss folgt einem Y-förmigen Schema: drei Flügel, die sich in 120-Grad-Winkeln aus einem Zentrum heraus entwickeln. Diese Geometrie ist nicht nur funktionale Organisation, sondern auch symbolische Setzung. Denn die drei Arme – sie tragen die Bezeichnungen Living Hub, Wellness Retreat und Sleeping Wing – repräsentieren eine Trias aus Gemeinschaft, Regeneration und Rückzug.
Das Zusammentreffen der drei Bereiche verweist zudem auf zyklische Zeitlichkeit: den Rhythmus von Tag und Nacht, Aktivität und Ruhe, Leben und Vergehen. Inspatia transformiert damit klassische Achsenkompositionen in eine Geometrie, die Ausgewogenheit und dieser Zyklizität folgt, eine Art rhythmische Raumordnung. Diese mehrschichtig deutbare Architektur kennt man von japanischen Garten- und Tempelanlagen bereits seit Jahrhunderten.
Leere als räumliches Zentrum
Im Mittelpunkt der Komposition liegt das „Forest Valley“, ein kreisförmiger Innenhof. Auch hier: Seine Bedeutung reicht über die Funktion hinaus. Denn der Hof ist ein Raum ohne wirklich Raum zu sein. In Japan schätzt man die Leere, die produktive Qualität des „Zwischenraums“. Der philosophische Unterbau: Das Konzept des „Ma“.
Ma beschreibt keine Leere im Sinne von Abwesenheit, sondern eine Ladung des Unausgesprochenen, ein architektonisches Innehalten. Das Forest Valley ist somit nicht nur Freiraum, sondern räumlicher Anker, der die Architektur um sich herum rhythmisiert und den Blick immer wieder ins Offene lenkt. Und so schafft Forest Within auch bei den Gästen eine Art energetische Aufladung – eine wertvolle Qualität in der heutigen, schnelllebigen Zeit.
Raum lässt sich immer auch als Prozess verstehen. Diesbezügliche architekturtheoretische Diskurse sieht man auch etwa bei den berühmten Architekten Arata Isozaki oder Kisho Kurokawa, beide Vertreter der Metabolisten. Diese versuchen, den organischen Lebenszyklus von Geburt und Wachstum auf Städtebau und Architektur zu übertragen. Derartige Ansätze stellen häufig eine klare Abgrenzung zu westlich geprägten, objektzentrierten Architekturen her.
Zwischenräume und geliehene Landschaft
Bei Forest Within haben die führenden Architekten bei Inspatia, das Brüderpaar Munish und Shivam Takulia, des weiteren die Idee des „Engawa“, der japanischen Veranda aufgegriffen. In Forest Within findet sie ihre Entsprechung in einem umlaufenden Band – halb Galerie, halb Schwelle. Dieses verstärkt den Gedanken des Zwischenraums noch. Denn dieser Übergangsstreifen löst die Grenze zwischen Innen und Außen auf und schafft gleichzeitig eine Zone der Kontingenz, also der Möglichkeiten: mal Terrasse, mal Flur, mal meditativer Ort.
Weitere japanische Besonderheit: In Kombination mit großflächigen Verglasungen wird das Prinzip des Shakkei – der „geliehenen Landschaft“ – angewandt. Die Natur wird nicht als Kulisse betrachtet, sondern als integrales Element der architektonischen Komposition. Architektur wird hier nicht zur Rahmung von Natur, sondern zum Instrument ihrer Wahrnehmung.
Materialität als topografische Sprache
Die Wahl der Materialien ist von einer poetischen Reduktion geprägt. Inspatia setzt auf Basaltstein, recycelten Beton, Tonziegel und japanische Zypresse – eine Palette, die sowohl lokale Bautraditionen zitiert als auch heute fast schon unumgängliche Fragen der Nachhaltigkeit adressiert.
Diese Kombination ist doppelt lesbar: Einerseits als regionale Referenz, da Basalt und Zypresse direkt auf die geologische und botanische Identität des Berglandes verweisen. Andererseits als kulturelles Narrativ, das – auch hier wieder – Grenzen zu transzendieren versucht: Hier die Tradition mit Elementen von Zypresse und Ton, dort die Moderne mit Beton, Glas.
Auch das Dach – subtil geschwungen, um Regen und Schnee abzuleiten – kann als architektonische Landschaft gesehen werden. Einerseits reflektiert es die Topografie, andererseits verweist es auf historische Dachformen. Zugleich rückt es die Geologische bewusst in den Fokus. So ist Architektur auch als geformte Schicht, nicht als Objekt zu verstehen.
Räume der Erfahrung, nicht der Repräsentation
Im Inneren dominieren Atmosphäre und Sinnlichkeit. Inspatia verzichtet auf repräsentative Gesten und inszeniert stattdessen eine graduelle Annäherung an den Wald. So ist der Living Hub als sozialer Kern mit Kaminlounge, Küche und Essbereich gestaltet. Die versenkte Sitzmulde evoziert archaische Formen des Zusammenkommens und lädt zur Kommunikation des Redekreises ein. Was aber kein Muss ist, denn dort lässt es sich genauso auch gut gemeinsam schweigen.
Der Bereich „Wellness Retreat“ mit seinem privaten Onsen intensiviert mit seiner dunklen Materialität aus verkohltem Holz und Beton das Erlebnis von Körper und Element. Der Schlaftrakt, der „Sleeping Wing“ wiederum, ermöglicht den Rückzug in das Intime – visuell geöffnet, aber akustisch und thermisch geschützt. Die Räume dienen über das Funktionale hinaus als Szenarien der Seinserfahrung.
Leises Manifest
Forest Within steht in einer Linie mit Projekten, die sich dem Paradigma des Spektakulären entziehen, das eher dem Westen zugeordnet wird. Bei diesem Resort scheint Heideggers Seins-Theorie räumlich übersetzt worden zu sein: Wohnen als Sein im Einklang mit Erde, Himmel, mit dem Sterblichen und dem Göttlichen. Die Trias der Flügel stellen eine Balance her zwischen dem Sozialen, dem Regenerativen und dem Intimen, quasi eine architektonische Umsetzung einer ontologischen Balance.
Text: Linda Benkö
Fotos/Renderings: inspatia